HAREMHAB

1

Der Regent Eje wartete ungeduldig darauf, sich, der Vereinbarung mit Haremhab gemäß, sofort nach Abschluß der Begräbniszeremonien für Tutanchamon die Kronen der Pharaonen aufzusetzen. Daher beschleunigte er denn auch die Einbalsamierung von Tutanchamons Leiche und deren Bestattung. Bei der Eile, mit der er das Grab fertigstellen ließ, erhielt es geringere Ausmaße als die Ruhestätten der großen Pharaonen und wirkte neben diesen klein und unscheinbar; außerdem behielt Eje einen großen Teil der Schätze, die Tutanchamon ins Grab hatte mitnehmen wollen, für sich. Laut Abkommen sollte er ferner die Prinzessin Baketamon dazu bewegen, Haremhabs Gemahlin zu werden, um diesem, der mit Mist zwischen den Zehen geboren war, zu ermöglichen, nach Ejes Tod gesetzlichen Anspruch auf die Kronen Ägyptens zu erheben. Zu diesem Zweck hatte er mit den Priestern vereinbart, daß die Prinzessin Baketamon nach Ablauf der Trauerzeit bei dem Siegesfest im Sekhmettempel Haremhab in der Gestalt der Göttin erscheinen und sich ihm hingeben solle, damit ihr Bündnis von den Göttern gesegnet würde und auch Haremhab göttlichen Rang erhielte. Diesen Plan hatte Eje mit den Priestern entworfen. Die Prinzessin Baketamon aber hatte bereits einen anderen Vorsatz gefaßt und seine Verwirklichung sorgfältig vorbereitet. Ich weiß, daß die Idee von der Königin Nofretete stammte, die Haremhab haßte und damit rechnete, daß sie, falls das Vorhaben gelingen sollte, neben Baketamon die mächtigste Frau in Ägypten würde.

Es war ein gottloser, unheimlicher Plan, wie ihn nur die Schlauheit eines verbitterten Weibes aushecken kann. Gleichzeitig war er so unerhört, daß er gerade seiner Unglaublichkeit wegen beinahe geglückt wäre, weil eben niemand sich etwas Derartiges vorstellen konnte oder für möglich gehalten hätte. Erst als dieser Plan an den Tag kam, wurde begreiflich, warum die Hetiter so großzügig Frieden angeboten, Megiddo und das Land der Amoriter abgetreten und beim Friedensschluß noch weitere Zugeständnisse gemacht hatten. Die Hetiter waren nämlich kluge Leute; sie behielten in ihrem Köcher einen Pfeil zurück, von dem Haremhab und Eje keine Ahnung hatten, und waren daher überzeugt, durch die Zugeständnisse nichts zu verlieren. Gerade wegen dieser Bereitschaft hätte ihnen Haremhab mißtrauen sollen; doch hatten ihn seine kriegerischen Erfolge geblendet, und er selbst wünschte den Frieden herbei, um seine Machtstellung in Ägypten zu festigen und endlich die Prinzessin Baketamon zur Gemahlin zu erhalten. Er hatte bereits zu viele Jahre auf sie warten müssen, und diese Verzögerung hatte seine Sehnsucht nach dem königlichen Blut bis zur Unerträglichkeit gesteigert. Deshalb war er geneigt, den Hetitern ohne Bedenken zu trauen, und sah über ihre Schlauheit hinweg.

Doch nachdem Nofretetes Gemahl gestorben und sie selbst gezwungen war, Ammon Opfer zu bringen, vermochte sie den Gedanken nicht zu ertragen, daß sie von der Regierung Ägyptens ausgeschlossen und jede andere Frau im goldenen Haus ihresgleichen sei. Trotz ihrer Jahre war sie noch immer eine schöne Frau, wenn auch diese Schönheit, die vieler Pflege und Mittel bedurfte, verwaschen und verbraucht war. Durch ihr Äußeres machte sie sich viele ägyptische Edelleute, die in dem goldenen Haus wie unnütze Drohnen um den unbedeutenden Pharao herumschwärmten, zu ergebenen Anhängern. Durch Klugheit und List gelang es ihr auch, die Freundschaft der Prinzessin Baketamon zu gewinnen und deren angeborenen Stolz zu einem verzehrenden Feuer anzufachen, so daß der Hochmut Baketamons schließlich alle Grenzen eines natürlichen Selbstgefühls überstieg und in wahren Irrsinn ausartete. So maßlos wurde ihr Stolz auf ihr heiliges Blut, daß sie nicht mehr die geringste Berührung mit einem gewöhnlichen Sterblichen ertrug und niemand gestattete, auch nur ihren Schatten zu streifen. In ihrem Hochmut hatte sie sich auch ihr Leben lang unberührt gehalten, weil sie der Ansicht war, daß es in Ägypten keinen einzigen Mann gebe, der ihrer würdig sei, da das Blut der großen Pharaonen in ihren Adern floß. Sie war jetzt auch bereits dem üblichen Heiratsalter entwachsen, und ich glaube, daß ihre Unberührtheit ihr in den Kopf gestiegen und ihr das Herz krank gemacht, daß sie aber in einem guten Ehebett hätte Heilung finden können. Trotz allem war sie immer noch eine schöne Frau, und in ihrem Stolz glaubte sie, daß die Zeit ihrer Schönheit nichts anhaben könne; auch pflegte sie ihr Äußeres mit größter Sorgfalt, obwohl keine Sklaven sie anrühren durften.

Nofretete schürte diesen Dünkel nach Kräften und redete der Prinzessin ein, sie sei zu großen Taten geboren und dazu bestimmt, Ägypten aus den Händen der niedriggeborenen Machtstreber zu erretten. Nofretete erzählte ihr von der großen Königin Hatschepsut, die sich einen königlichen Bart ums Kinn gebunden, mit dem Löwenschwanz umgürtet und auf dem Thron der Pharaonen Ägypten regiert hatte. Sie lustwandelten zusammen im Felsentempel Hatschepsuts zwischen den strahlend weißen Säulen und auf der myrtenbewachsenen Terrasse und betrachteten die Bildnisse der großen Königin, wobei Nofretete Baketamon glauben zu machen suchte, sie sehe in ihrer Schönheit der großen Königin ähnlich.

Über Haremhab hingegen wußte Nofretete so vieles Schlechtes zu berichten, daß die Prinzessin in ihrem jungfräulichen Stolz schließlich vor diesem niedriggeborenen Mann mit der riesenhaften Gestalt, welche diejenige der ägyptischen Edelleute um Kopfeslänge überragte, zu grauen begann und sie angewidert den Gedanken von sich wies, Haremhab könne sie eines Tages auf die rohe Art der Krieger vergewaltigen und ihr heiliges Blut schänden. Doch ist des Menschen Herz so launisch und voll Widersprüche, daß ich glaube, ihr Haß gegen Haremhab stammte vor allem daher, weil seine ungezähmte Kraft sie heimlich lockte. Denn ich vermute, daß sie einst, als der junge Haremhab ins goldene Haus gekommen, diesen allzu eifrig angeschaut hatte und ihr unter seinen Blicken heiß geworden war – was sie sich allerdings niemals eingestanden hatte.

Deshalb vermochte Nofretete sie ohne große Mühe zu beeinflussen, als die Pläne Ejes und Haremhabs offenkundig wurden und Pharao Tutanchamon, da sich der Krieg in Syrien seinem Ende näherte, immer schwächer und siecher wurde. Ich glaube auch nicht, daß Eje der Königin Nofretete seine Pläne verheimlichte; denn sie war ja seine Tochter. Daher hatte sie wohl mit Leichtigkeit erfahren, um welch hohe Einsätze Eje und Haremhab insgeheim spielten. Nofretete aber haßte ihren Vater, der sie, nachdem er genügend Nutzen aus ihr gezogen, beiseitegeschoben, in dem goldenen Haus eingesperrt und von den Hoffesten ferngehalten hatte, weil sie die Gemahlin des verfluchten Pharao gewesen war. Ich nehme an, daß es auch noch andere Ursachen für Nofretetes Haß gegen ihren Vater gab; doch will ich sie nicht erwähnen, weil ich nicht sicher bin und nicht allem Klatsch im goldenen Haus Glauben schenke, obwohl ich weiß, daß es im Grunde ein sehr dunkles Haus ist, zwischen dessen Wänden sich viele schauerliche Dinge abspielen. Ich behaupte bloß, daß Schönheit und Klugheit, wenn sie in einem Weibe zusammentreffen, dessen Herz die Jahre versteinert haben, gefährliche Eigenschaften bedeuten, gefährlichere sogar als gezückte Messer und die Kupfersensen der Streitwagen. Ich glaube auch, daß es in der ganzen Welt nichts Gefährlicheres und Verderbnisbringenderes gibt als ein ungewöhnlich schönes und kluges Weib, dem es an Herz fehlt. Den besten Beweis hierfür liefert der Plan, den Nofretete ausheckte und zu dem sie die Prinzessin Baketamon überredete.

Dieser schlaue Plan wurde nach Haremhabs Rückkehr aufgedeckt. In seiner Ungeduld begann er sofort in der Nähe der Wohnung der Prinzessin Baketamon herumzustreichen, um sie zu sehen und anzusprechen, obwohl sie sich weigerte, ihn zu empfangen. Dabei bekam Haremhab zufällig einen Gesandten der Hetiter zu Gesicht, der auf dem Weg zu der Prinzessin war. Der Feldherr war erstaunt darüber, daß sie den Mann empfing und so lange bei sich behielt. Deshalb ließ er, ohne jemand um Erlaubnis zu fragen, den Hetiter verhaften; aber in seiner Frechheit droKte ihm der Fremde mit Worten, die einer nur äußern kann, wenn er seiner Macht sicher ist.

Haremhab berichtete Eje dieses Erlebnis. Die beiden drangen nachts mit Gewalt in Baketamons Wohnung ein, töteten die mit ihrem Schutz betrauten Sklaven und entdeckten unter der Asche eines Kohlenbeckens eine Anzahl von Lehmtafeln. Beim Lesen derselben erschraken sie tief: sofort ließen sie Baketamon in ihre Zimmer einsperren und bewachen, und auch Nofretete stellten sie unter Aufsicht. Noch in der gleichen Nacht suchten sie mich im einstigen Haus des Kupferschmieds auf, das Muti nach dem Brand für das von Kaptah erhaltene Silber wieder hatte aufbauen lassen; sie kamen im Schutz der Dunkelheit und mit verhülltem Gesicht in einer einfachen Sänfte. Muti, welche die beiden nicht erkannte, ließ sie ein und knurrte vor Ärger, weil sie mich ihretwegen mitten in der Nacht aus dem Schlaf wecken sollte. Ich schlief jedoch nicht; denn seit meiner Rückkehr aus Syrien litt ich wegen all der Schrecknisse, die ich dort gesehen hatte, an Schlaflosigkeit. Deshalb erhob ich mich bei Mutis Gebrumm von meinem Lager, zündete die Lampen an und empfing die Fremden, von denen ich glaubte, sie brauchten ärztliche Hilfe. Zu meinem großen Erstaunen erkannte ich jedoch die Besucher und schickte Muti nach Wein, obwohl Haremhab vor lauter Unmut darüber, daß die Alte sie gesehen hatte und ihre Worte hören konnte, sie umbringen wollte. Noch nie hatte ich Haremhab so verängstigt gesehen, und das bereitete mir große Genugtuung. Deshalb sprach ich:

»Ich erlaube dir keinesfalls, Muti aus dem Weg zu schaffen; und ich glaube, du bist krank im Kopf, daß du solchen Unsinn redest! Muti ist alt und schwerhörig und schnarcht wie ein Nilpferd. Davon wirst du dich bald genug mit eigenen Ohren überzeugen können. Trink daher Wein, und fürchte dich nicht vor einem alten Weib!«

Haremhab aber entgegnete ungeduldig: »Ich bin nicht hergekommen, um mit dir über Mutis Geschnarch zu reden. Ein Menschenleben mehr oder weniger hat nichts zu bedeuten, denn Ägypten schwebt in Lebensgefahr, und du mußt es retten!«

Eje bestätigte seine Worte, indem er sagte: »Wahrlich, Sinuhe, Todesgefahr droht Ägypten und auch mir! Nie zuvor war unser Land so ernstlich gefährdet wie in diesem Augenblick. Deshalb wenden wir uns in unserer Not an dich, Sinuhe.«

Ich aber lachte spöttisch und hob abwehrend die leeren Hände. Da ließ mich Haremhab die Lehmtafeln des Königs Schubbiluliuma sowie Abschriften der Briefe lesen, die Baketamon vor Kriegsende nach Chattuschasch an den König der Hetiter geschickt hatte. Ich entzifferte sie, die Lust zum Lachen verging mir, und der Wein verlor seinen Duft in meinem Mund; denn die Prinzessin hatte folgendermaßen an den König geschrieben:

»Ich bin die Tochter des Pharao, in meinen Adern fließt heiliges Blut, und in ganz Ägypten gibt es keinen Mann, der meiner würdig wäre. Wie ich höre, hast du viele Söhne. Sende also einen deiner Söhne zu mir, damit ich den Krug mit ihm zerbreche, und er soll an meiner Seite über Kêmet herrschen.«

Der Inhalt des Schreibens war so unerhört, daß der vorsichtige Schubbiluliuma zuerst nicht daran glauben wollte, sondern durch einen geheimen Boten eine in sehr mißtrauischen Worten abgefaßte Lehmtafel an Baketamon sandte, um sich nach ihren Bedingungen zu erkundigen. Baketamon aber wiederholte in einem neuen Schreiben ihr Angebot und versicherte, die Vornehmen des Landes und auch die Ammonpriester ständen auf ihrer Seite. Dieses Schreiben überzeugte Schubbiluliuma von der Ehrlichkeit ihrer Absichten. Deshalb hatte er sich beeilt, mit Haremhab Frieden zu schließen, und stand jetzt im Begriff, seinen Sohn Schubattu nach Ägypten zu schicken. Schubattu sollte Kadesch an einem günstigen Tag mit einer Menge Geschenke für Baketamon verlassen. Nach der letzten Lehmtafel zu urteilen, war er mit seinem Gefolge bereits unterwegs.

»Bei allen Göttern Ägyptens«, sagte ich erstaunt, »wie sollte ich euch beistehen können? Ich bin nur ein Arzt und vermag daher das Herz eines verrückten Weibes nicht für Haremhab zu gewinnen.«

Dieser erklärte: »Du hast uns schon einmal geholfen – und wer zum Ruder greift, muß rudern, ob er will oder nicht. Du mußt dem Prinzen Schubattu entgegenfahren und dafür sorgen, daß er nicht nach Ägypten gelangt. Wie du das erreichst, wissen wir nicht, und es ist uns auch gleich. Ich sage bloß, daß wir ihn nicht offen auf der Reise umbringen können, weil dies einen neuen Krieg mit den Hetitern zur Folge haben würde. Den Zeitpunkt seines Aufbruchs aber will ich selbst bestimmen.«

Seine Worte entsetzten mich, die Knie begannen mir zu zittern, mein Herz verwandelte sich in Wasser, und die Zunge stotterte in meinem Mund, als ich sagte: »Wohl ist es wahr, daß ich euch einmal geholfen habe; aber ich tat es ebensosehr für mich wie für Ägypten. Dieser Prinz aber hat mir nichts Böses angetan, und ich habe ihn nur ein einziges Mal gesehen: vor deinem Zelt am Todestag Azirus. Nein, Haremhab, zum Meuchelmörder wirst du mich nicht machen! Lieber sterbe ich. Denn ein schändlicheres Verbrechen gibt es nicht; und wenn ich dem Pharao den Todestrank gereicht habe, so geschah es seinetwegen, weil er ein kranker Mensch und ich sein Freund war.«

Aber Haremhab runzelte die Brauen und begann sich mit der Peitsche aufs Schienbein zu schlagen, und Eje meinte: »Sinuhe, du bist ein kluger Mann und wirst daher verstehen, daß wir nicht ein ganzes Reich unter der Bettmatte einer launenhaften Frau verlieren können. Glaube mir, es gibt keinen anderen Ausweg mehr. Der Prinz muß auf der Reise nach Ägypten umkommen, und es geht mich nichts an, ob er einem Unfall oder einer Krankheit erliegt: die Hauptsache ist, daß er stirbt. Deshalb wirst du ihm in der Wüste Sinai entgegenfahren – und dies als Arzt im Auftrag der Prinzessin Baketamon, um ihn zu untersuchen, ob er fähig ist, seine Obliegenheiten als Ehegatte zu erfüllen. Er wird dir das gerne glauben und dir einen freundlichen Empfang bereiten, um dich dann langatmig über die Prinzessin Baketamon auszufragen; denn auch Prinzen sind nur Menschen, und ich glaube, er wird sehr neugierig auf die Hexe sein, an die Ägypten ihn zu fesseln gedenkt. Deine Aufgabe, Sinuhe, wird leicht sein. Auch wirst du die Geschenke nicht verachten, die ihre Erfüllung einbringen wird und die dich zu einem reichen Mann machen werden.«

Haremhab mahnte: »Triff rasch deine Wahl, Sinuhe; denn du wählst zwischen Leben und Tod! Du wirst verstehen, daß wir dich, falls du nein sagst, nach diesen Mitteilungen unmöglich am Leben lassen können, magst du auch tausendmal mein Freund sein. Denn es handelt sich um ein Pharaonengeheimnis, das außer Eje und mir niemand wissen darf. Der Name, den deine Mutter dir verlieh, Sinuhe, war ein schlechtes Vorzeichen; denn du hast bereits allzu viele Pharaonengeheimnisse erfahren! Du brauchst daher bloß ein ablehnendes Wort zu äußern, und ich durchschneide dir den Hals von Ohr zu Ohr, so ungern ich es tue; denn du bist unser bester Diener, und wir können keinen anderen Menschen mit einem solchen Auftrag betrauen. Ein gemeinsames Verbrechen aber verbindet dich mit uns, und auch diesen neuen Frevel wollen wir gerne mit dir teilen, falls du die Rettung Ägyptens vor der Macht der Hetiter und eines verrückten Weibes als einen Frevel betrachtest.«

So war ich in das Netz verstrickt, das mir meine eigene Handlungsweise geknüpft hatte und das so stark war, daß ich keine einzige Masche zu zerreißen vermochte. Meine eigenen Taten bildeten den Strick, der mich fesselte. Ich selbst hatte diesen Strick gedreht, der weit zurück bis in die Todesnacht des großen Pharao, bis zu dem Besuch Ptahors in meinem Vaterhaus, ja bis zu dem Strom reichte, auf dem ich in meiner Geburtsnacht in einem Binsenboot schwamm. In dem Augenblick aber, da ich Pharao Echnaton den Todestrank reichte, hatte ich mein Geschick endgültig mit dem Schicksal Haremhabs und Ejes verbunden, obwohl ich es damals in meiner Trauer und Erbitterung nicht verstand.

»Du weißt ganz gut, daß ich den Tod nicht fürchte, Haremhab!« versuchte ich mir selbst Mut einzureden; denn obwohl ich schon oft und viel vom Tod gesprochen und ihn auch angerufen hatte, war er mir doch ein unheimlicher, kalter Gast in der Finsternis der Nacht, und ich wollte mir nicht die Kehle mit einem stumpfen Messer durchsägen lassen.

Ich schreibe dies alles nur meinetwegen und ohne Selbstbeschönigung. Deshalb muß ich zu meiner Schande gestehen, daß mir in jener Nacht der Gedanke an den Tod ein großes Grauen einjagte, weil er so plötzlich und unerwartet aufgetaucht war, daß ich keine Zeit fand, mich darauf vorzubereiten. Vielleicht würde ich mich weniger vor dem Sterben gefürchtet haben, wenn es nicht so plötzlich hätte geschehen sollen. Nun aber dachte ich an das pfeilschnelle Flitzen der Schwalben über dem Strom, an den Wein des Hafens und an die Gans, die Muti nach Thebener Art briet – und das Leben erschien mir mit einemmal unerwartet süß. Deshalb dachte ich an Ägypten und erinnerte mich daran, daß Echnaton hatte sterben müssen, damit das Land gerettet und Haremhab die Möglichkeit gegeben werde, den Angriff der Hetiter mit Waffengewalt abzuwehren. Schließlich war Echnaton mein Freund gewesen, während mir dieser fremde Prinz sehr fern stand und sicherlich durch seine Untaten im Krieg den Tod schon tausendmal verdient hatte. Warum sollte ich also nicht auch ihn ums Leben bringen, um Ägypten zu retten, nachdem ich ja Echnaton zu demselben Zweck das Gift gereicht hatte? Ich fühlte mich auf einmal sehr schläfrig und sprach gähnend zu den beiden:

»Leg das Messer weg, Haremhab; denn sein Anblick regt mich auf! Dein Wille geschehe! Ich werde also Ägypten vor der Gewalt der Hetiter retten, wenn ich auch keine Ahnung habe, wie ich es anstellen soll, und vermutlich das Leben dabei verlieren werde, weil die Hetiter mich unfehlbar totschlagen werden, wenn der Prinz stirbt. Doch lege ich keinen großen Wert auf mein Leben und will nicht, daß die Hetiter in Ägypten herrschen. Ich tue das alles aber nicht für Geschenke oder liebenswürdige Versprechungen, sondern weil diese Tat bereits vor meiner Geburt in den Sternen geschrieben stand und ich ihr somit nicht ausweichen kann. Empfanget also die Kronen aus meiner Hand, Haremhab und Eje! Empfangt sie und segnet meinen Namen; denn ich, ein unbedeutender Arzt, habe euch zu Pharaonen gemacht!«

Während ich so sprach, verspürte ich große Lust zu lachen. Ich dachte daran, daß in meinen Adern vielleicht heiliges Blut floß und ich der allein berechtigte Erbe der Pharaonen war, während Eje ursprünglich ein unbekannter Sonnenpriester gewesen und die Eltern Haremhabs nach Viehherden und Käse rochen. Ich legte die Hand auf den Mund und kicherte wie ein altes Weib bei dem Gedanken, daß ich, wenn ich Haremhabs unbeugsame Härte oder Ejes kaltblütige Schlauheit besessen hätte, mein Leben vielleicht so hätte lenken können, daß ich meine Abstammung bewiesen und selber den Thron der Pharaonen bestiegen haben würde. In einer Zeit so gewaltiger Umwälzungen war alles möglich. Aber die Macht schreckte mich ab, und mir graute vor den blutbefleckten Kronen der Pharaonen; denn das Sonnenblut in meinen Adern war mit dem dünnen Blut der Mitani, dem Blut des Sonnenuntergangs, vermischt. Deshalb konnte ich mich des Lachens nicht erwehren und hielt die Hand vor den Mund; denn wenn ich mich aufrege, muß ich lachen, und wenn ich mich fürchte, werde ich schläfrig. In diesem Verhalten glaube ich mich von anderen Menschen zu unterscheiden.

Haremhab ärgerte sich so sehr über mein Gelächter, daß er die Brauen runzelte und sich wieder das Schienbein mit der goldenen Peitsche zu schlagen begann, während sich Eje dadurch nicht stören ließ; denn er war bereits ein müder, alter Mann, der sich nicht mehr um das Lachen oder Weinen der Menschen, sondern nur noch um sich selber kümmerte. In diesem Augenblick sah ich die beiden, wie sie in Wirklichkeit und ohne die bunte Federtracht der Einbildung waren: ich durchschaute sie als Räuber, die Ägyptens sterbenden Leib plünderten, wie auch als Kinder, die mit Kronen und Machtsymbolen spielten, und ich erkannte, daß sie so sehr von ihren Wünschen besessen waren, daß sie niemals glücklich werden konnten. Meine Augen blickten in die Zukunft, und deshalb hielt ich mit dem Lachen inne und sprach zu Haremhab:

»Mein Freund Haremhab, eine Krone wiegt schwer. Du wirst es spüren, wenn ein heißer Tag zur Neige geht, die Rinder zur Tränke ans Ufer getrieben werden und die Stimmen um dich her verstummen.«

Haremhab aber sagte: »Mach dich rasch auf den Weg! Ein Schiff wartet auf dich. Du sollst Schubattu noch in der Wüste Sinai begegnen, ehe er und sein Gefolge nach Tanis gelangen.«

So verließ ich die Stadt Theben mitten in der Nacht; Haremhab stellte mir sein schnellstes Schiff zur Verfügung, und ich ließ meinen Ärzteschrein und den Rest des Gänsebratens, den Muti mir zu Mittag vorgesetzt hatte, an Bord schaffen. Auch Wein ließ ich mir zur Unterhaltung holen, weil ich mich nicht mehr darum scherte, was mit mir geschah.

2

An Bord des Schiffes fand ich Zeit und Muße zum Denken. Als ich mir alles reiflich überlegt hatte, beschleunigte ich nach Kräften die Fahrt, indem ich die Ruderer mit meinem Stock und mit dem Versprechen reichlicher Geschenke antrieb. Denn je länger ich darüber nachsann, desto deutlicher sah ich die unerhörte Gefahr, die, wie eine schwarze Sandwolke aus der Wüste emporsteigend, Ägypten bedrohte. Es wäre mir ein leichtes, meine Handlungen zu beschönigen und zu behaupten, ich hätte alles Ägyptens wegen getan; aber das Tun der Menschen ist nicht leicht zu erklären, und Taten sind niemals reiner, sondern stets gemischter Wein. Ich schreibe all dies nur in bezug auf mich und gebe daher zu, daß ich diese neue Aufgabe vielleicht niemals übernommen haben würde, wenn ich mich in jener Nacht in meinem Haus nicht vor einem jähen Tod gefürchtet hätte. Nachdem ich mich aber schon einmal zu der Tat verpflichtet, suchte ich sie auf jede Weise zu beschönigen und kleidete sie in die bunte Tracht der Einbildung, bis ich schließlich selbst überzeugt war, dadurch Ägypten zu retten. Jetzt, da ich alt bin, glaube ich es zwar nicht mehr; aber damals, als ich auf dem Schiff stromabwärts fuhr, hatte ich große Eile, und das Fieber der Ungeduld brannte so heftig in mir, daß meine Augenlider schwollen und ich keinen Schlaf finden konnte.

Wieder einmal war ich einsam, einsamer als alle anderen. Denn keinem Menschen konnte ich mein Inneres mehr anvertrauen und niemand um Hilfe bei der Ausführung meiner Tat bitten. Ich hatte ja ein Pharaonengeheimnis zu wahren, das, wenn es an den Tag gekommen wäre, den Tod von Tausenden und aber Tausenden bedeutet hätte. Deshalb mußte ich, um nicht entlarvt zu werden, listiger als eine Schlange vorgehen, und das Bewußtsein, daß ich, falls ich ertappt würde, einem fürchterlichen Tod in den Händen der Hetiter entgegenginge, spornte mich zu äußerster Schlauheit an.

Allerdings war ich versucht, alles wegzuwerfen, zu fliehen und mich irgendwo in der Ferne zu verbergen, wie es der Sinuhe des Märchens tat, als er durch einen Zufall das Geheimnis des Pharao erfahren. Ich hatte große Lust, die Flucht zu ergreifen und das Schicksal über Ägypten hereinbrechen zu lassen. Wäre ich geflohen, so würden die Ereignisse vielleicht anders verlaufen sein und die Welt heute anders aussehen – ob besser oder schlechter, das weiß ich nicht. Seitdem ich alt geworden bin, habe ich jedoch eingesehen, daß schließlich alle Herrscher gleich sind und ebenso alle Völker, und daß es im Grunde kein großer Unterschied ist, wer herrscht und welches Volk das andere unterdrückt: die arme Bevölkerung bleibt am Ende doch immer der leidende Teil. Deshalb wäre es vielleicht auf eins herausgekommen, wenn ich meine Aufgabe im Stich gelassen hätte. Doch würde ich in diesem Fall keine frohe Stunde mehr gehabt haben, womit ich nicht etwa behaupten will, jetzt glücklicher zu sein; denn die Tage des Glückes sind für mich schon mit meiner Jugend entschwunden.

Meiner Schwäche wegen aber floh ich nicht; denn eher, als seinen eigenen Weg zu gehen, läßt sich ein schwacher Mensch vom Willen eines anderen zu fürchterlichen Untaten verleiten. Wahrlich, wenn ein Mensch schwach genug ist, läßt er sich sogar lieber in den Tod führen, als daß er den Strick, an dem er geleitet wird, durchschnitte! Übrigens glaube ich, daß es viele Schwächlinge gibt und ich nicht der einzige bin.

Deshalb mußte Prinz Schubattu sterben. Während ich so auf dem Schiff, im Schatten des vergoldeten Daches und einen Weinkrug neben mir, dasaß, strengte ich all mein Denkvermögen an, um eine Todesart für ihn zu ersinnen, die meine Tat nicht verraten und Ägypten nicht mit Verantwortung belasten würde. Das war eine schwierige Aufgabe; denn der hetitische Prinz reiste sicherlich mit einem seinem Rang entsprechenden Gefolge, und die Hetiter waren mißtrauisch und wachten zweifellos über seine Sicherheit. Selbst wenn ich ihm allein in der Wüste begegnete und es in meiner Hand läge, ihn mit Pfeil oder Speer umzubringen, könnte ich es doch nicht tun, weil diese Waffen Spuren hinterlassen, die das Verbrechen an den Tag bringen würden. Einen Augenblick dachte ich daran, ihn in die Wüste hinauszulocken, um den Basilisk mit den Augen aus grünem Stein zu suchen, ihn in eine Schlucht hinabzustürzen und hernach zu erzählen, er sei ausgeglitten und habe sich das Genick gebrochen. Aber das war ein kindischer Plan; denn ich wußte recht gut, daß ihn sein Gefolge in der Wüste nicht aus den Augen lassen würde, weil die Leute seinem Vater, dem großen Schubbiluliuma, für sein Leben hafteten. Ich würde bestimmt nicht einmal unter Vier Augen mit ihm sprechen können; und um Vergiftungen vorzubeugen, besaßen die Hetiter Vorkoster aller Speisen und Getränke, weshalb ich ihn also nicht auf die übliche Art vergiften könnte…

Da entsann ich mich der Berichte über die geheimen Gifte der Priester und des goldenen Hauses. Ich wußte, daß es Mittel und Wege gab, einer unreifen Baumfrucht Gift einzuimpfen, welches das Ende desjenigen herbeiführte, der sie später in reifem Zustand verzehrte. Ich wußte, daß es Bücherrollen gab, die demjenigen, der sie öffnete, einen langsamen Tod bereiteten, und wußte auch, daß die Priester Blumen auf eine besondere Art behandelten, damit ihr Duft tödlich wirkte. Doch das alles waren Geheimnisse der Priester, ich kannte sie nicht und glaube, daß viele jener Erzählungen rein erfunden waren. Doch selbst, wenn sie wahr gewesen wären und ich die Geheimnisse gekannt hätte: ich würde doch keine Obstbäume in der Wüste mit Gift versehen können! Ebenso war mir klar, daß ein hetitischer Prinz kein Schriftstück selbst öffnet, sondern es seinen Schreibern übergibt; und schließlich pflegten die Hetiter nicht an Blumen zu riechen, sondern deren Stengel mit Peitschen abzuhauen oder sie mit den Füßen zu zertreten.

Je mehr ich mir alles überlegte, desto schwieriger erschien mir meine Aufgabe, und ich wünschte, ich hätte Kaptahs Schlauheit als Beistand. Doch durfte ich ihn nicht in die Sache hineinziehen. Außerdem hielt er sich wegen seiner Guthaben immer noch in Syrien auf und hatte es auch nicht eilig, nach Ägypten zurückzukehren, weil er wegen seiner Zugehörigkeit zum Reiche Atons nach wie vor überzeugt war, das syrische Klima sei ihm zuträglicher als das ägyptische. Deshalb bot ich meine ganze Erfindungsgabe und alle meine ärztlichen Kenntnisse auf: denn ein Arzt ist mit dem Tod vertraut und kann mit seinen Mitteln dem Patienten ebensogut den Tod wie das Leben schenken. Wäre Prinz Schubattu krank gewesen und hätte ich ihn pflegen dürfen, so würde ich ihn in aller Ruhe und nach allen Regeln der Heilkunst zu Tode kuriert haben, und kein Arzt, der sich selbst achtete, hätte irgend etwas gegen meine Behandlung einzuwenden gehabt, weil die Zunft der Ärzte in allen Zeiten ihre Toten gemeinsam zu begraben pflegt. Schubattu aber war nicht krank; und wenn er es wäre, würde er sich von seinen hetitischen Heilkünstlern pflegen lassen und nicht einen Ägypter heranziehen…

Ich habe so ausführlich von meinen Überlegungen berichtet, um zu beweisen, welch schwierige Aufgabe mir Haremhab auferlegt hatte; doch will ich mich nun nicht länger bei meinen Gedanken aufhalten, sondern erzählen, was ich tat. Im Haus des Lebens zu Memphis ergänzte ich meinen Vorrat an Arzneien, und keiner wunderte sich über meine Bestellungen; denn was für einen gewöhnlichen Menschen ein tödliches Gift ist, kann für einen Arzt oft ein Heilmittel sein. Alsdann reiste ich unverzüglich weiter nach Tanis, wo ich eine Sänfte bestieg, um mich unter dem Geleit einiger Streitwagen auf der großen, nach Syrien führenden Heerstraße in die Wüste hinaus zu begeben. Als Arzt und als ein an seine Bequemlichkeit gewöhnter Mann wollte ich nämlich in einer Sänfte reisen, damit keine auffällige Eile den Verdacht meines Gefolges oder der Hetiter wecke.

Haremhab war über Schubattus Reiseweg genau unterrichtet gewesen: drei Tagereisen von Tanis entfernt, bei einer von Mauern umgebenen Quelle stieß ich auf den Prinzen und sein Gefolge. Auch Schubattu reiste in einer Sänfte, um seine Kräfte zu schonen. In seinem Gefolge befanden sich zahlreiche schwerbeladene Esel mit kostbaren Geschenken für die Prinzessin Baketamon, schwere Streitwagen gaben ihm das Geleit, und voraus fuhren leichte Wagen in Späherdiensten; denn König Schubbiluliuma hatte ihm anbefohlen, auf jede Überraschung gefaßt zu sein, da er nur zu gut wußte, daß diese Reise Haremhab mißfallen werde. Deshalb würde Haremhab nichts dadurch gewonnen haben, Räuberbanden auszusenden, um ihn in der Wüste umbringen zu lassen; denn um die Begleitmannschaft zu überwinden, hätte es eines regelrechten Kampfverbandes mit Streitwagen bedurft, und dies wiederum hätte Krieg bedeutet.

Gegen mich und die Offiziere meines anspruchslosen Geleits aber waren die Hetiter äußerst zuvorkommend und liebenswürdig – wie immer, wenn sie hoffen, etwas umsonst zu erhalten, was sie nicht mit Waffengewalt erobern können. Sie empfingen uns in dem Lager, das sie zur Nacht aufgeschlagen hatten, halfen den ägyptischen Soldaten beim Aufrichten der Zelte und gaben uns zahlreiche Wächter zum Schutz gegen die Räuber und Löwen der Wüste, damit wir ungestört schlafen könnten. Als Prinz Schubattu jedoch vernahm, daß ich ein Abgesandter der Prinzessin Baketamon sei, wurde er vor Neugierde ungeduldig und ließ mich holen, um mit mir zu sprechen.

So betrat ich sein Zelt und sah einen jungen, stattlichen Mann vor mir, dessen Augen groß und klar wie Wasser waren, weil er nicht betrunken war wie damals am Morgen vor Haremhabs Zelt bei Megiddo, da Aziru sterben mußte. Freude und Erwartung röteten sein dunkles Gesicht. Seine Nase war groß und wie der Schnabel eines Raubvogels kühn gebogen, und als er mich heiter anlachte, glänzten seine Zähne blendend weiß wie diejenigen eines reißenden Tiers. Ich reichte ihm ein von Eje angefertigtes, gefälschtes Schreiben der Prinzessin Baketamon und streckte unter allen nötigen Ehrenbezeigungen die Hände in Kniehöhe vor, als wäre er bereits mein Herrscher. Es belustigte mich sehr, zu sehen, daß er zu meinem Empfang ägyptische Kleidung trug, die ihn jedoch in seinen Bewegungen hinderte, weil er sie nicht gewohnt war. So sprach er zu mir:

»Da sich meine künftige königliche Gemahlin dir anvertraut hat und du königlicher Arzt bist, will ich dir nichts verbergen. Deshalb sage ich dir, daß ein Prinz, der heiratet, an seine Gemahlin gebunden ist; das Land meiner Gemahlin soll also das meinige und die Sitten Ägyptens sollen die meinigen werden. Darum habe ich bereits nach Kräften versucht, mich mit ihnen vertraut zu machen, um bei meiner Ankunft in Theben kein Fremder mehr zu sein. Auch brenne ich vor Neugier auf alle Wunder Ägyptens, von denen ich so viel gehört, und auf die Bekanntschaft mit den mächtigen Gottheiten, die von nun an auch meine Götter sein werden. Am heißesten aber sehne ich mich nach meiner großen königlichen Gemahlin, da ich mit ihr Kinder zeugen und ein neues ägyptisches Herrschergeschlecht gründen will. Erzähle mir alles über sie, wie groß sie ist, wie sie aussieht und wie breit ihre Lenden sind! Du kannst offen sprechen, als wäre ich bereits ein Ägypter. Und du sollst mir auch nichts Ungünstiges über sie verbergen; denn du kannst mir vertrauen, so wie ich mich auf dich wie auf einen Bruder verlasse.«

Als Beweis dieses Vertrauens standen hinter ihm die Hauptleute mit gezückten Waffen und hielten die den Zelteingang bewachenden Soldaten die Speerspitzen gegen meinen Rücken gerichtet. Ich aber tat, als bemerkte ich es nicht, verneigte mich bis zum Boden vor ihm und sprach:

»Meine Herrscherin, die Prinzessin Baketamon, gehört zu den schönsten Frauen Ägyptens. Ihres heiligen Blutes wegen hat sie sich unberührt gehalten, obwohl sie einige Jahre älter ist als du; ihrer Schönheit aber kann die Zeit nichts anhaben: ihr Antlitz ist wie der Mond, und ihre Augen sind wie Lotosblüten. Als Arzt kann ich dir auch versichern, daß sie, obgleich ihre Lenden wie diejenigen aller Ägypterinnen schmal sind, alle Anlagen für das Gebären von Kindern hat. Sie hat mich dir entgegengeschickt, um die Gewißheit zu erhalten, daß dein königliches Blut ihres heiligen Blutes würdig ist, daß du körperlich alle Forderungen erfüllst, die man an einen Ehegatten stellen kann, und sie nicht enttäuschest. Sie erwartet dich mit Ungeduld, weil noch nie in ihrem Leben ein Mann sie berührt hat.«

Prinz Schubattu streckte die Brust vor, hob die Ellbogen in Achselhöhe, um mir seine Armmuskeln zu zeigen, und sprach: »Meine Arme spannen den stärksten Bogen, und zwischen meinen Schenkeln kann ich einem Esel den Atem ausquetschen. Mein Gesicht ist, wie du siehst, ebenfalls makellos, und ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt krank gewesen bin.«

Ich entgegnete: »Du bist gewiß noch ein unerfahrener Jüngling und kennst die ägyptischen Sitten nicht, wenn du dir einbildest, eine ägyptische Prinzessin sei ein Bogen, den man spannt, oder ein Esel, den man zwischen die Schenkel klemmt! Ich muß dir auf alle Fälle einiges über die ägyptische Liebeskunst vortragen, damit du dich nicht vor der Prinzessin schämen mußt. Meine Herrscherin hat wahrlich klug gehandelt, mich dir entgegenzusenden, um dich in unsere Sitten einzuweihen!«

Prinz Schubattu fühlte sich durch meine Worte sehr beleidigt; denn er war ein selbstbewußter Jüngling und wie alle Hetiter stolz auf seine männliche Kraft. Seine Hauptleute brachen in Lachen aus, was ihn noch mehr ärgerte, so daß er vor Wut erblaßte und mit den Zähnen knirschte. Vor mir aber wollte er wie ein Ägypter gebildet auftreten und äußerte daher so ruhig, als er es vermochte:

»Ich bin kein unerfahrener Junge, wie du zu glauben beliebst! Mein Speer hat schon manchen Ledersack durchbohrt, und deine Prinzessin dürfte keinen Grund zum Klagen haben, wenn ich sie in die Kunst des Landes Chatti einweihe.« Ich entgegnete: »Wohl glaube ich an deine Kraft, mein Herrscher! Aber sicherlich irrst du, wenn du behauptest, nicht mehr zu wissen, wann du zuletzt krank gewesen bist. Denn als Arzt sehe ich es deinen Augen und Wangen an, daß du nicht gesund bist, und weiß, daß du an Abweichen leidest.«

Schließlich gibt es keinen Menschen, der sich nicht krank wähnte, wenn man es ihm lange und überzeugend genug einredet und er auf sich selber zu achten beginnt. Jeder Mensch trägt nämlich tief im Innern das Bedürfnis, sich selbst zu verhätscheln und sich pflegen zu lassen; das haben die Ärzte aller Zeiten gewußt, und dank diesem Wissen haben sie sich bereichert. Zu meinem Vorteil war mir überdies bekannt, daß die Wüstenquellen eine Lauge enthalten, die denjenigen, die nicht an Wüstenwasser gewöhnt sind, Durchfall verursacht. Daher war Prinz Schubattu über meine Worte äußerst verblüfft und rief:

»Du täuschest dich sicherlich, Sinuhe, Ägypter! Ich fühle mich wahrlich nicht krank, wenn ich auch zugeben muß, daß ich Abweichen habe und heute den ganzen Tag am Wegrand niederhocken mußte. Doch verstehe ich nicht, wieso du das wissen kannst; als Heilkünstler bist du jedenfalls geschickter als mein eigener Arzt, der meinem Leiden keine Beachtung geschenkt hat.« Er horchte auf sich selbst, befühlte sich Augen und Stirn mit der Hand und meinte: »Wahrhaftig! Die Augen brennen vom tagelangen Starren auf den roten Wüstensand, meine Stirn ist heiß, und ich fühle mich nicht so wohl, wie ich es wünschte!«

Ich erklärte ihm: »Dein Arzt täte am besten daran, dir ein Mittel für deinen Magen zu geben, damit du gut schläfst. Die Magenkrankheiten in der Wüste sind heimtückisch, und ich weiß selbst, daß viele Ägypter während des Zuges nach Syrien daran zugrunde gingen. Niemand kennt den Keim dieser Krankheit; einige behaupten, sie komme von dem giftigen Wüstenwind, andere suchen die Ursachen im Wasser, und andere wiederum schieben die Schuld auf die Heuschrecken. Aber ich bezweifle nicht, daß du morgen wieder gesund und munter deine Reise fortsetzen kannst, wenn dir dein Arzt heute abend ein gutes Mittel reicht.«

Er sann eine Weile nach, blickte seine Hauptleute aus verkniffenen Augen an und sagte zu mir, schmeichlerisch wie ein kleiner Knabe: »Bereite du mir eine gute Arznei, Sinuhe! Du kennst die seltsamen Wüstenkrankheiten gewiß besser als mein eigener Arzt.« Aber ich war nicht so dumm, wie er annahm, sondern hob die Hände mit nach außen gerichteten Innenflächen und sagte: »Erlaß mir diese Verpflichtung! Ich wage dir wahrhaftig keine Arznei zu reichen; denn wenn sich dein Zustand verschlimmern sollte, würdest du mich anklagen und behaupten, ich als Ägypter habe dir Böses antun wollen. Dein eigener Arzt wird seine Sache so gut wie ich, ja besser machen, weil er deinen Körper und deine früheren Krankheiten kennt, und er braucht dir auch nur eine einfache Arznei zu geben, die deinen Stuhlgang verstopft.«

Er lächelte mich an und meinte: »Vielleicht ist dein Rat gut. Denn ich will mit dir essen und trinken, damit du mir von meiner königlichen Gemahlin und den ägyptischen Sitten berichtest, und habe keine Lust, deine Erzählung immer wieder unterbrechen zu müssen, um hinauszulaufen und wie eine Bruthenne hinter dem Zelt zu sitzen!«

Er ließ seinen Arzt, einen mürrischen, mißtrauischen Hetiter, kommen, und wir berieten uns miteinander. Als mein Kollege merkte, daß ich mich nicht aufdrängen wollte, fand er Gefallen an mir und befolgte meinen Rat, für den Prinzen eine verstopfende Arznei von sehr starker Wirkung zusammenzubrauen. Mit diesem Ratschlag verfolgte ich einen bestimmten Zweck. Nachdem er das Mittel gemischt hatte, nahm er zuerst selbst einen Schluck aus dem Becher, um die Unschädlichkeit des Mittels zu beweisen, und reichte diesen dann dem Prinzen. Aus seiner Art, die Arznei zu mischen, und aus den verschiedenen Mitteln, die er dabei zusammenführte, ersah ich, daß er ein erfahrener Arzt war; doch meine Rede verwirrte ihn, und ich glaube, er hielt mich für geschickter als sich selbst und befolgte daher meinen Rat zum Besten seines Patienten.

Ich aber wußte, daß der Prinz nicht krank war und auch ohne Arznei genesen wäre. Doch ich wollte das Gefolge von seiner Erkrankung überzeugen und ihm den Magen verstopfen, damit das Mittel, das ich ihm zu geben gedachte, nicht vorzeitig aus seinem Leib abgeführt werde. Vor der Mahlzeit, die der Prinz zu meinen Ehren zubereiten ließ, begab ich mich in mein Zelt und füllte mir den Magen mit Speiseöl; trotz dem Ekel und dem Brechreiz, den das Öl verursachte, tat ich es, um mir das Leben zu erhalten. Dann holte ich einen kleinen, nur zwei Becher enthaltenden Krug Wein, in den ich Gift gemischt hatte. Hernach versiegelte ich das Gefäß wiederum. Mit diesem Krüglein kehrte ich in das Zelt des Prinzen zurück, ließ mich auf seinem Teppich nieder, aß von den Gerichten, die uns Sklaven anboten, trank von dem Wein, den uns die Mundschenke in die Becher gossen, und obgleich ich die ganze Zeit an schwerem Brechreiz litt, erzählte ich tolle Anekdoten über die ägyptischen Sitten, um den Prinzen und seine Hauptleute zum Lachen zu reizen. Der Prinz lachte denn auch so stark, daß seine Zähne unaufhörlich blitzten, schlug mich mit der Hand auf den Rücken und meinte:

»Du bist ein witziger Mann, Sinuhe, obwohl du ein Ägypter bist! Wenn ich erst in Ägypten heimisch bin, werde ich dich zum königlichen Leibarzt machen. Wahrlich, ich vergehe vor Lachen und vergesse meinen kranken Magen, wenn ich dich von den ägyptischen Ehesitten erzählen höre! Doch sind es verweichlichte Bräuche, welche die Ägypter wohl nur erfunden haben, um das Kinderkriegen zu vermeiden! Deshalb werde ich die Ägypter hetitische Sitten lehren und meine Hauptleute über die Bezirke Ägyptens setzen. Das wird dem Lande guttun, nachdem ich zuerst der Prinzessin das gegeben habe, was ihr gebührt.«

Er schlug sich mit den Händen auf die Knie, trank, bis er berauscht war, lachte wieder und sagte: »Wahrlich, ich wünschte, die Prinzessin läge bereits auf meiner Matte! Deine Schilderungen, Sinuhe, haben mich aufgeregt, und ich werde dafür sorgen, daß sie vor Wollust stöhnt! Bei dem heiligen Himmel und der großen Erdmutter: ganz Ägypten wird noch vor Freude jauchzen; denn wenn einmal das Land Chatti und Ägypten vereint sind, gibt es in der ganzen Welt kein Reich mehr, das unserer Gewalt widerstehen könnte. Wir werden alle vier Erdteile unter unsere Herrschaft bringen, und unsere Macht wird sich von Land zu Land und von Meer zu Meer erstrecken. Vor allem aber müssen die Ägypter eiserne Glieder und feurige Herzen bekommen, damit sie den Tod höher als das Leben einschätzen. Das alles soll geschehen, und zwar sobald wie möglich!«

Er hob den Becher und trank; alsdann opferte er der Erdmutter von seinem Wein und spritzte auch Wein in die Luft, um dem Himmel zu opfern, bis sein Becher leer war. Sämtliche Hetiter waren bereits angeheitert, und meine lustigen Geschichten hatten ihr Mißtrauen verjagt. Ich benützte daher die Gelegenheit, um. zu sagen:

»Ich will dich und deinen Wein keineswegs herabwürdigen, Schubattu; aber du hast jedenfalls noch nie ägyptischen Wein genossen! Hättest du ihn einmal gekostet, würde dir jeder andere Wein wie Wasser schmecken, und du würdest ihn verschmähen. Deshalb wirst du mir verzeihen, wenn ich von meinem eigenen Wein trinke, von dem allein ich berauscht werden kann. Zu diesem Zweck nehme ich immer davon mit, wenn ich bei Fremden zu Gast geladen bin.«

Ich schüttelte meinen Weinkrug, brach vor seinen Augen das Siegel und schenkte mir von dem Trank ein, wobei ich tat, als wäre ich betrunken, so daß ich von dem Wein verschüttete. Dann nippte ich am Becher und sagte: »Ah! Das ist Wein aus Memphis! Pyramidenwein, der mit Gold aufgewogen wird! Starker, süßer, berauschender ägyptischer Wein, desgleichen es nirgends in der Welt mehr gibt!« Der Wein war wirklich stark und gut. Ich hatte ihm Myrrhe beigemischt, die das ganze Zelt mit ihrem Duft zu erfüllen begann; aber noch durch den Wohlgeruch des Weins und der Myrrhe hindurch spürte ich den Geschmack des Todes. Deshalb rann mir beim Trinken Wein übers Kinn – die Hetiter aber hielten mich für betrunken. Prinz Schubattu ward neugierig, hielt mir seinen Becher hin und sagte:

»Ich bin kein Fremder mehr für dich, und schon morgen werde ich dein Herr und Pharao sein. Gib mir daher von deinem Wein zu kosten; sonst glaube ich nicht, daß er so ausgezeichnet ist!«

Ich aber preßte den Weinkrug an meine Brust, weigerte mich hartnäckig, seinem Wunsch nachzukommen, und erklärte: »Dieser Wein reicht nicht für zwei! Ich habe nicht mehr bei mir und will mich heute abend betrinken, weil heute ein großer Freudentag für ganz Ägypten ist: der Vorabend des ewigen Bündnisses zwischen Ägypten und dem Lande Chatti!«

»Hiiah!« rief ich dann, indem ich den Schrei eines Esels nachahmte, und stammelte, den Weinkrug fest umarmend: »Meine Schwester, meine Braut, mein süßes Liebchen! Meine Kehle ist dein Heim und mein Bauch dein weiches Nest, und kein Fremder darf dich berühren.«

Die Hetiter krümmten sich vor Lachen und schlugen sich mit den Händen auf die Knie. Schubattu aber war gewohnt, was er sich wünschte, zu erhalten, und streckte daher seinen Becher hin, indem er mich so lange anflehte und beschwor, ihn von meinem Wein kosten zu lassen, bis ich schließlich unter Tränen meinen kleinen Krug in seinen Becher leerte. Und so groß war in jenem Augenblick meine Angst, daß mir das Weinen gar nicht schwerfiel.

Nachdem Schubattu den Wein bekommen hatte, blickte er zögernd um sich, als hätte ihn eine innere Stimme gewarnt; nach hetitischer Art reichte er mir den Becher und sprach: »Weihe du, Sinuhe, meinen Becher ein, da du mein Freund bist und ich dir diese große Gunst erweise!« Das tat er, weil er nicht sein Mißtrauen zeigen und den Vorkoster zuerst trinken lassen wollte. Ich tat einen tiefen Zug aus seinem Becher, worauf er ihn leerte und, mit schief geneigtem Kopf in sich hineinlauschend, sagte: »Wahrlich, Sinuhe, dein Wein ist stark und steigt wie Rauch in den Kopf und brennt wie Feuer im Magen! Aber er hinterläßt einen herben Geschmack im Mund, und diesen ägyptischen Duft will ich mit Wein aus den Bergen hinunterspülen.« Er füllte den Becher wiederum mit seinem eigenen Wein, wodurch er das Gefäß ausspülte. Ich aber wußte, daß das Gift erst am folgenden Morgen zu wirken beginnen konnte, weil er reichlich gegessen hatte und sein Magen verstopft war.

Ich nahm so viel Wein zu mir, wie ich vermochte, stellte mich betrunken und ließ, um ja keinen Verdacht bei den Hetitern zu erwecken, noch die Zeit eines halben Wassermaßes verstreichen, ehe ich mein Zelt aufsuchte. Erst nach geraumer Zeit ließ ich mich also in mein Zelt geleiten und hielt die ganze Zeit den leeren Weinkrug an die Brust gepreßt, damit er nicht zurückbleibe, sondern einer Untersuchung durch die Hetiter entginge. Aber kaum hatten mich die Hetiter unter allerlei groben Scherzen zu Bett gebracht und verlassen, stand ich auf, steckte die Finger in den Hals und erbrach das schützende Öl und das Gift aus meinem Magen. Meine Furcht aber war so groß, daß mir der Todesschweiß aus den Poren brach und über die Glieder rann und die Knie zitterten, was vielleicht auch von der Wirkung des Giftes herkam. Deshalb spülte ich mir wiederholt den Magen, nahm entleerende Arzneien ein und übergab mich einmal ums andere, bis ich es schließlich vor lauter Angst und ohne Brechmittel tat.

Erst als ich mich gänzlich erschöpft fühlte, wusch ich den Weinkrug aus, zertrümmerte ihn und vergrub die Scherben im Sand. Dann legte ich mich nieder, ohne allerdings Schlaf zu finden; denn ich zitterte immer noch vor Angst und von dem Gift, und im Dunkel betrachtete mich die ganze Nacht das lachende Gesicht Schubattus, das so wenig von mir weichen wollte, als ich sein stolzes, sorgloses Lachen und seine blendendweißen Zähne vergessen konnte.

3

Der hetitische Stolz kam mir auch zu Hilfe, als Prinz Schubattu am folgenden Morgen Übelkeit verspürte: er wollte nicht zugeben, krank zu sein, noch die Reise unterbrechen, um sich von den Magenschmerzen zu erholen, sondern unterdrückte diese und bestieg die Sänfte, obgleich es ihm große Selbstüberwindung kostete. Deshalb setzten wir die Reise den ganzen Tag fort, und wenn ich an seiner Sänfte vorüberkam, winkte er mir mit der Hand zu und mühte sich zu lachen. Im Lauf des Tages gab ihm sein Arzt noch zweimal schmerzstillende und verstopfende Mittel ein, wodurch sein Übel sich nur verschlimmerte und das Gift seine volle Wirkung tun konnte; denn ein heftiger Durchfall am Morgen hätte ihm das Leben vielleicht noch retten können.

Am Nachmittag aber sank er in seiner Sänfte mit verdrehten Augen und in tiefer Bewußtlosigkeit zusammen, sein Gesicht färbte sich wachsgelb und fiel ein. Deshalb rief mich sein Arzt aufs tiefste erschrocken zu Hilfe. Auch ich erschrak, als ich Schubattu in seinem elenden Zustand erblickte, und brauchte wahrlich keinen Schrecken zu heucheln; denn kalte Schauer liefen mir über den Rücken, und beim Gedanken an das Gift fühlte ich mich selber krank. Aber ich behauptete, die Symptome zu kennen, und erklärte, Schubattu sei von der Magenkrankheit der Wüste befallen, deren Anzeichen ich schon am Vorabend in seinem Gesicht bemerkt und vor der ich ihn gewarnt hatte, obwohl er mir nicht glauben wollte. Die Karawane machte halt, und wir pflegten den Prinzen in seiner Sänfte. Wir gaben ihm belebende und entleerende Mittel ein und legten ihm heiße Steine auf den Magen, wobei ich jedoch die ganze Zeit dafür sorgte, daß einzig mein Kollege die Arzneien mischte und ihm diese zwischen den zusammengebissenen Zähnen einflößte. Ich wußte, daß Schubattu sterben mußte, und bemühte mich daher, durch meine Ratschläge seine Qualen nach Kräften zu lindern und ihm das Ende zu erleichtern, da ich nichts anderes mehr für ihn tun konnte. Gegen Abend trugen wir ihn in sein Zelt, vor dem die Hetiter in lautes Wehklagen ausbrachen, sich die Kleider zerrauften, Sand ins Haar streuten und mit Messern stachen, weil sie alle für ihr Leben fürchteten, das König Schubbiluliuma nicht schonen würde, falls der Prinz in ihren Händen stürbe. Ich aber wachte mit dem hetitischen Arzt am Krankenlager; meine Augen brannten, meine Nase rann beim Rauch der Fackeln, und ich sah den schönen Jüngling, der noch am Tag zuvor stark, gesund und glücklich gewesen, vor meinen Augen langsam dahinsiechen und häßlich und grün werden.

Ich sah ihn sein Leben aushauchen, sah, wie seine kristallklaren Augen sich verschleierten und blutunterlaufen wurden und seine Pupillen nur noch zwei schwarze Punkte, nicht größer als eine Nadelspitze, waren. Seine Zähne bedeckten sich mit gelbem Schaum und Geifer, seine Haut verlor ihre frische Farbe und erschlaffte, er ballte die Fäuste und grub vor Schmerz die Nägel in die Handflächen. Verzweifelt und mißtrauisch untersuchte der hetitische Arzt unaufhörlich seinen Zustand; aber alle Anzeichen deuteten unzweifelhaft auf eine schwere Magenkrankheit. Deshalb dachte auch niemand an Gift; selbst wenn jemand auf den Gedanken daran gekommen wäre, hätte mich niemand anklagen können, da ich von dem gleichen Wein genossen und sogar aus Schubattus Becher getrunken hatte, und kein Mensch konnte sich vorstellen, auf welche Art ich ihn heimlich vergiftet haben könnte. Ich hatte meine Tat also äußerst geschickt und zum großen Nutzen Ägyptens ausgeführt, weshalb ich auf meine Fähigkeiten hätte stolz sein sollen; doch empfand ich beim Anblick des sterbenden Prinzen keinerlei Befriedigung.

Am folgenden Morgen, als das Ende nahte, erlangte er das Bewußtsein wieder und ward angesichts des Todes zu einem kranken Kind, das leise nach seiner Mutter rief: »Mutter, Mutter, meine schöne Mutter!« wimmerte er sachte. Seine kraftlose Hand hielt meine Finger umklammert, der Tod trat ihm in die Augen. Im letzten Augenblick ließen „die Schmerzen nach, er lächelte jungenhaft und entsann sich seines königlichen Blutes. Deshalb ließ er seine Hauptleute zu sich rufen und sprach zu ihnen: »Niemand soll wegen meines Todes angeklagt werden! Ich bin von einer Wüstenkrankheit dahingerafft worden, obwohl mich der beste Arzt des Landes Chatti und der hervorragendste Heilkünstler Ägyptens nach allen Regeln ihrer Kunst gepflegt haben. Doch ist ihre Kunst machtlos geblieben, weil es der Wille des Himmels und der Erdmutter ist, daß ich sterbe. Sicherlich untersteht die Wüste nicht der Gewalt der Erdmutter, sondern den Göttern Ägyptens, und sie schützten dieses Land. Wißt daher, ihr alle, daß die Hetiter nicht in die Wüste hinausziehen sollen! Dafür ist mein Tod ein Beweis, und auch die Niederlage unserer Streitwagen in der Wüste war ein Zeichen dafür, wenn wir es auch nicht glauben wollten. Macht daher den Ärzten nach meinem Hinscheiden ein Geschenk, das meiner würdig ist! Und du, Sinuhe, grüße mir die Prinzessin Baketamon und sage ihr, daß ich sie ihres Versprechens entbinde und sehr bedauere, sie nicht zu ihrer und meiner eigenen Lust ins Ehebett tragen zu können! Wahrlich, du sollst ihr diesen Gruß überbringen! Denn noch im Sterben sehe ich sie in ihrer unvergänglichen Schönheit wie eine Märchenprinzessin vor mir, obwohl ich sie nie in Wirklichkeit erblickt habe.«

Er starb mit einem Lächeln auf den Lippen – denn nach großen Schmerzen kommt der Tod oft als heitere Seligkeit – und seine brechenden Augen erblickten seltsame Erscheinungen. Ich betrachtete ihn zitternd und sah dabei nur noch den Menschen in ihm, sah ihn als meinesgleichen und dachte nicht mehr an seinen Stamm, seine Sprache oder seine Hautfarbe, sondern nur noch daran, daß er durch meine Hand um meiner Bosheit willen hatte sterben müssen, obwohl er als Mensch mein Bruder war. Und so abgestumpft mein Herz auch durch alle Todesfälle war, denen ich in meinem Leben beigewohnt hatte, zitterte es trotzdem beim Anblick des sterbenden Prinzen Schubattu. Deshalb strömten mir die Tränen über die Wangen auf meine Hände. Ich raufte mir die Kleider und rief: »Mensch, mein Bruder, bleibe am Leben!«

Aber niemand vermochte mehr sein Sterben aufzuhalten. Die Hetiter legten seinen Leichnam in starken Wein und Honig, um ihn nach Chattuschasch in das Felsengrab der Könige Chattis überführen zu können, wo Adler und Wölfe den ewigen Schlummer der Herrscher bewachten. Die Hetiter waren über meine Trauer und meine aufrichtigen Tränen sehr gerührt, und auf mein Verlangen stellten sie mir gern auf einer Lehmtafel ein Zeugnis aus, wonach ich keinerlei Schuld an dem Tod des Prinzen Schubattu trug, sondern meine ganze Geschicklichkeit zu seiner Rettung aufgewendet hatte. Sie schrieben das Zeugnis mit hetitischen Schriftzeichen in den Lehm und drückten ihre eigenen sowie das königliche Siegel des Prinzen darunter, damit in Ägypten wegen des Todes ihres Herrn kein Schatten auf mich falle. Sie beurteilten nämlich Ägypten nach ihrem eigenen Land und glaubten daher, die Prinzessin Baketamon ließe mich umbringen, wenn ich ihr bei meiner Rückkehr den Tod des Prinzen Schubattu verkünden werde.

So hatte ich Ägypten vor der Gewalt der Hetiter gerettet und hätte eigentlich mit meinem Werk zufrieden sein sollen; doch war ich es durchaus nicht, weil ich das Gefühl hatte, der Tod folge mir überallhin auf den Fersen. Ich war Arzt geworden, um die Menschen durch meine Kunst zu heilen und Leben statt Tod zu säen – aber mein Vater und meine Mutter waren meiner Bosheit wegen gestorben, Minea meiner Schwäche wegen umgekommen, Merit und den kleinen Thoth hatte meine Verblendung in den Tod gestürzt, und dem Pharao Echnaton war um meines Hasses und meiner Freundschaft und um Ägyptens willen das Ende beschieden worden. Alle, die ich liebte, fanden meinetwegen einen gewaltsamen Tod. So starb auch Prinz Schubattu meinetwegen, obwohl ich ihn im Augenblick des Sterbens liebte und seinen Tod nicht mehr wünschte. Deshalb begann ich bei meiner Rückkehr nach Tanis meine eigenen Augen und Hände zu fürchten und zu glauben, daß ein Fluch mich überallhin begleite.

Ich kehrte also nach Tanis zurück und segelte von dort nach Memphis, von wo ich schließlich wieder nach Theben gelangte. Dort ließ ich mein Schiff vor dem goldenen Haus anlegen und trat vor Eje und Haremhab. Sie empfingen mich, und ich sprach zu ihnen: »Euer Wille ist geschehen. Prinz Schubattu ist in der Wüste Sinai gestorben, und wegen seines Todes fällt kein Schatten auf Ägypten.« Die beiden freuten sich sehr über meine Worte; Eje nahm sich die goldene Kette des Zepterträgers vom Hals, um sie mir umzuhängen, während Haremhab sagte: »Berichte es auch der Prinzessin Baketamon! Denn uns wird sie nicht glauben, sondern sich einbilden, ich habe den Prinzen aus Eifersucht umbringen lassen.«

Ich trat vor die Prinzessin Baketamon, die mich empfing. Sie hatte sich Wangen und Mund ziegelrot geschminkt; aber in ihren länglichen, dunklen Augen lauerte der Tod. Ich sagte zu ihr: »Dein Auserwählter, Prinz Schubattu, entband dich vor seinem Tod deines Versprechens; er erlag in der Wüste Sinai einer Magenkrankheit, und weder ich noch sein Leibarzt vermochten mit all unserer Kunst ihn zu retten.« Sie streifte die goldenen Reifen von ihren Händen, legte sie mir um die Gelenke und sprach: »Du bringst mir eine gute Botschaft, Sinuhe. Ich danke dir dafür; denn ich bin bereits zur Priesterin der Sekhmet geweiht, und mein rotes Gewand ist mir zum Siegesfest genäht worden. Jenes ägyptische Magenleiden aber kenne ich bereits zur Genüge und weiß, daß auch mein Bruder Echnaton, der Pharao, den ich mit schwesterlicher Liebe verehrte, daran gestorben ist! So sei verflucht, Sinuhe, in alle Ewigkeit! Auch dein Grab sei verflucht! Möge dein Name für immer in Vergessenheit fallen! Denn du hast den Thron der Pharaonen zu einem Tummelplatz für Räuber gemacht und schändest in mir für alle Zeiten das heilige Blut der Pharaonen.«

Ich verneigte mich tief, streckte die Hände in Kniehöhe vor und sprach: »Dein Wille geschehe!« Alsdann verließ ich sie, und sie hieß ihre Sklaven bis zur Schwelle des goldenen Hauses den Fußboden hinter mir kehren.

4

Der Leichnam Pharao Tutanchamons war inzwischen zur ewigen Erhaltung bereitet worden, und Eje ließ ihn schleunigst durch die Priester in sein Grab bringen, das in den westlichen Bergen im Tal der Königsgräber ausgehauen worden war. Er bekam wohl viele Gaben mit auf den Weg; dennoch waren seine Schätze gering, weil Eje ihm vieles gestohlen hatte. Auch war seine letzte Ruhestätte unscheinbar neben denjenigen der großen Könige, so daß er noch im Tod ebenso unbedeutend blieb, wie er im Leben unter seinen Spielsachen im goldenen Haus gewesen. Kaum war der Eingang zu seinem Grab mit Siegeln verschlossen worden, so erklärte Eje die Trauerzeit für beendet und ließ Freudenwimpel an den Stangen der Widderstraße hissen, während Haremhab befahl, alle Plätze und Straßenecken Thebens durch seine Streitwagen zu besetzen. Aber niemand erhob Einspruch gegen Ejes Krönung zum Pharao; denn das Volk war bereits so erschöpft wie endlos mit Speeren gehetztes Wild, und niemand fragte danach, mit welchem Recht er sich die Krone aneignete, noch erwartete irgend jemand etwas Gutes von ihm.

So wurde Eje zum Pharao gekrönt, und die Priester, die er mit unermeßlichen Geschenken bestochen hatte, salbten ihn im großen Tempel mit heiligem Öl und setzten ihm die weiße und die rote, die Lilien- und die Papyruskrone, die des Oberen und die des Unteren Landes aufs Haupt. Sie trugen ihn im goldenen Nachen Ammons vor das Volk, das ihm zujubelte, weil er Brot und Bier austeilen ließ und Ägypten so arm geworden war, daß dies für die Bewohner Thebens ein großes Geschenk bedeutete. Ich aber und viele andere mit mir wußten, daß seine Macht bloße Einbildung und Haremhab dagegen der eigentliche Herrscher Ägyptens war, weil er die Speere hinter sich hatte. Daher fragten sich viele Leute wohl auch im stillen, weshalb Haremhab nicht selbst die Macht an sich riß, sondern den alten, verhaßten Eje den Thron der Pharaonen besteigen ließ.

Aber Haremhab wußte, was er tat. Denn noch war der Zorn des Volkes nicht verraucht, waren die Leiden Ägyptens nicht zu Ende, und beunruhigende Kunde aus dem Lande Kusch rief ihn wieder unter die Waffen, diesmal gegen die Neger. Nachdem er die Herrschaft Ägyptens im Süden gefestigt und die Grenzsteine jenseits der Stromschnellen wieder verstärkt, wußte er, daß ihm Syriens wegen noch ein neuer Krieg mit den Hetitern bevorstand. Deshalb wollte er, daß das Volk Eje als den Urheber all seiner Leiden und seiner Armut betrachte und ihn, Haremhab, später einmal als den Sieger, den Wiederhersteller des Friedens und einen guten Herrscher preise.

Eje hingegen dachte nicht an solche Dinge; denn die Macht und der Glanz der Kronen verblendeten ihn, und er erfüllte gerne seinen Teil der mit Haremhab am Todestag Echnatons getroffenen Vereinbarung. Deshalb geleiteten die Priester in feierlichem Zuge die Prinzessin Baketamon in den Tempel der Sekhmet, legten ihr das rote Gewand und den Schmuck der Göttin an und hoben sie auf den Altar der Sekhmet. Haremhab langte mit seinen Truppen vor dem Tempel an, um seinen Sieg über die Hetiter und die Befreiung Syriens zu feiern. Ganz Theben umjubelte ihn. Vor dem Tempel teilte er Goldketten und Ehrenzeichen an seine Leute aus und entließ sie dann in die Stadt. Hierauf betrat er den Tempel, dessen Kupfertore von den Priestern hinter ihm geschlossen wurden. Sekhmet offenbarte sich ihm in der Gestalt der Prinzessin Baketamon, und er nahm sie; denn er war ein Krieger und hatte lange genug gewartet.

In dieser Nacht feierte Theben das Fest Sekhmets, der Himmel glühte vom Schein der Fackeln und Lampen, und Haremhabs Soldaten leerten Weinstuben und Bierschenken, zertrümmerten die Türen der Freudenhäuser und brachten in allen Straßen Thebens die Mädchen zum Schreien. Viele Menschen wurden im Laufe der Nacht mißhandelt, und in ihrer Ausgelassenheit zündeten die Soldaten einige Gebäude an; doch entstand dabei kein größerer Schaden. Im Morgengrauen versammelten sich die Krieger von neuem vor dem Sekhmettempel, um Haremhab heraustreten zu sehen. Sie stießen laute Rufe des Staunens und derbe Flüche in den verschiedensten Sprachen aus, als sie die Kupfertore des Tempels sich öffnen und Haremhab heraustreten sahen; denn Sekhmet war ihrer Löwinnengestalt treu geblieben, und Haremhabs Gesicht, Arme und Schultern waren mit blutigen Schrammen bedeckt, als hätten ihn Raubtierkrallen zerfleischt. Dies belustigte seine Soldaten sehr, und sie liebten ihn von nun an noch mehr als zuvor. Die Prinzessin Baketamon aber wurde von den Priestern in einer geschlossenen Sänfte zum Ufer getragen und kehrte in das goldene Haus zurück, ohne sich dem Volk zu zeigen.

Als sie verschwunden war, drangen die Soldaten in den Tempel, sammelten die am Boden zerstreuten Fetzen ihres roten Gewandes und verteilten diese untereinander als Andenken und als Zaubermittel zur Verführung widerspenstiger Frauen. Das war die Hochzeitsnacht meines Freundes Haremhab. Wieviel Freude er daran hatte, weiß ich nicht; denn kurz darauf zog er sein Heer bei der ersten Stromschnelle im Süden zusammen, um den Krieg im Lande Kusch zu beginnen. Die Priester Sekhmets jedoch litten während des Krieges keinen Mangel an Opfern, sondern wurden vor Überfluß an Fleisch und Wein in ihrem Tempel feist und rund.

Der Priester Eje jauchzte, von seiner Macht geblendet, und sprach zu mir: »In ganz Ägypten gibt es niemand, der über mir stünde! Es hat nichts mehr zu bedeuten, ob ich lebe oder sterbe: der Pharao ist unsterblich in alle Ewigkeit, und nach meinem Ableben besteige ich den goldenen Nachen meines Vaters Ammon und segle über den Himmel geradenwegs nach dem Lande des Westens. Und das ist gut! Ich will nicht, daß mein Herz auf der Waage des Osiris gewogen werde; denn die Beisitzer seines Gerichts, die gerechten Paviane, könnten schwere Anklagen gegen mich erheben und mein Baa dem Verschlinger in den Rachen werfen! Ich bin ein alter Mann, und es geschieht des öfteren in der Nacht, daß mich meine Untaten aus der Finsternis anstieren. Deshalb bin ich froh, Pharao zu sein und den Tod nicht mehr fürchten zu müssen.«

So sprach er zu mir, weil ich durch meine Taten an ihn gekettet war und nichts Böses über ihn sagen konnte, was nicht auch mich selbst betroffen hätte. Er war ein müder, alter Mann, dessen Knie beim Gehen wankten, dessen Gesicht runzlig und wachsgelb und dessen Haar ergraut war. Er fühlte sich einsam und wandte sich an mich, weil uns gemeinsam begangene Verbrechen verbanden und er vor mir nichts zu verbergen brauchte. Ich aber lachte höhnisch über seine Worte und verspottete ihn, indem ich sagte:

»Du bist ein alter Mann, und ich hätte dichg für klüger gehalten. Bildest du dir ein, daß dich das stinkende Öl der Priester plötzlich unsterblich gemacht hat? Wahrlich, du bleibst auch mit der königlichen Kopfbedeckung der gleiche Mann; bald erreicht dich der Tod, und du bist nichts mehr.«

Da begann sein Mund zu zittern, der Schreck sah ihm aus den Augen, er wimmerte laut und sagte: »Habe ich denn alle meine Untaten umsonst begangen und mein Leben lang vergeblich den Tod um mich gesät? Nein, sicherlich irrst du dich, Sinuhe! Die Priester werden mich aus den Schlünden des Totenreichs erretten und meinen Leib für die ewige Erhaltung bereiten. Denn der Leib eines Pharao ist göttlich, und göttlich sind auch meine Taten, deretwegen mich niemand anklagen kann, weil ich der Pharao bin.«

So begann sich sein Verstand zu umnachten, und er hatte an seiner Macht keine Freude mehr. In seiner entsetzlichen Angst vor dem Tod lebte er nur noch seiner Gesundheit und getraute sich nicht einmal mehr, Wein zu trinken, sondern nährte sich von trockenem Brot und gekochter Milch. Seine Körperkräfte waren zu sehr verbraucht, als daß er sich noch mit Frauen hätte ergötzen können; denn in seinen besseren Tagen hatte er seinen Leib durch allerlei Mittel vergiftet, um seine Mannheit zu steigern und die Gunst der Königin Teje zu gewinnen. Jetzt begann er sich immer mehr vor Meuchelmördern zu fürchten und wagte oft tagelang nichts zu sich zu nehmen, ja nicht einmal die Früchte im Garten des goldenen Hauses wagte er noch zu pflücken aus Angst, sie könnten schon in unreifem Zustand vergiftet worden sein. So wurde er in seinen alten Tagen in das Netz seiner eigenen Untaten verstrickt, und in seiner Furcht wurde er so mißtrauisch und grausam, daß die Höflinge ihn mieden, die Sklaven seine Nähe flohen und das goldene Haus verödet und leer blieb, solange er dort als Pharao lebte.

Aber für die Prinzessin Baketamon begann ein Samenkorn zu keimen; denn die Priester hatten die Zeit ihrer Regeln berechnet und es Haremhab wissen lassen. In ohnmächtiger Wut verwüstete sie ihren Leib und zerstörte ihre Schönheit, um das Kind im Schoße zu töten, ohne dabei an ihre Selbsterhaltung zu denken. Das keimende Leben in ihrem Mutterleib aber war stärker als der Tod, und als die Zeit gekommen war, gebar sie Haremhab einen Sohn unter großen Schmerzen, weil das Kind für ihre schmalen Lenden zu groß war. Die Ärzte und Sklaven aber mußten es vor ihr verstecken, um sie zu hindern, ihm ein Leid zuzufügen. Über diesen Knaben und seine Geburt gingen später im Volk viele Sagen um: einige behaupteten, er sei mit einem Löwenhaupt zur Welt gekommen, andere wiederum sagten, er sei mit einem Helm auf dem Kopf geboren worden. Ich aber kann bezeugen, daß sich der Kleine in keiner Einzelheit von anderen Neugeborenen unterschied, sondern ein gesundes, kräftiges Kind war. Haremhab sandte aus dem Lande Kusch einen Boten und ließ seinen Sohn unter dem Namen Ramses in das goldene Buch des Lebens eintragen.

Denn Haremhab führte immer noch Krieg im Lande Kusch, und seine Streitwagen rollten über die Ebenen und fügten den Negern, die solchen Kampf nicht gewohnt waren, große Niederlagen zu. Er brannte ihre Strohhütten und Dörfer nieder und schickte Frauen und Kinder in die ägyptische Knechtschaft. Die Männer aber nahm er in seine Armee auf und bildete sie zu Kriegern aus, und sie wurden gute Soldaten, da sie keine Heime, keine Frauen und keine Kinder mehr besaßen. Während Haremhab im Lande Kusch Krieg führte, stellte er auf diese Weise gleichzeitig eine neue Armee gegen die Hetiter auf; denn die Neger waren tüchtige Soldaten, die den Tod nicht fürchteten, wenn sie sich zuerst in Tänzen beim Klang der heiligen Trommeln zur Raserei aufgereizt hatten.

So konnte Haremhab viele Sklaven zum Ackerbau nach Ägypten liefern; auch ließ er aus dem Lande Kusch große Viehherden dorthin treiben, weshalb es in Kêmet wieder reichlich Getreide gab, die Kinder keinen Mangel an Milch mehr litten, und die Priester genügend Opfertiere und Heisch erhielten. Aber gleichzeitig verließen auch ganze Völker ihre Wohnsitze im Lande Kusch und flohen in die Dschungel jenseits der ägyptischen Marksteine, in das Reich der Elefanten und Giraffen, und das Land Kusch blieb jahrelang verödet. Ägypten erlitt jedoch dadurch keinen großen Schaden, weil das Land Kusch schon seit Echnatons Zeiten keine Tribute mehr entrichtet hatte, obwohl es unter den großen Pharaonen reicher als Syrien und der Hauptquell des ägyptischen Reichtums gewesen war.

Nach zweijährigem Krieg kehrte Haremhab aus dem Lande Kusch nach Theben zurück; er brachte große Beute mit, ließ Geschenke an die Bevölkerung der Stadt austeilen und feierte zehn Tage und zehn Nächte lang ein Siegesfest, wobei alle Arbeit in Theben ruhte, betrunkene Soldaten wie Ziegen meckernd in den Straßen herumkrochen und die Frauen in den Zustand versetzt wurden, der sie zu gegebener Zeit dunkelhäutige Kinder gebären ließ. Haremhab hielt seinen Sohn in den Armen, lehrte ihn gehen und erklärte stolz: »Siehe, Sinuhe, aus meinen Lenden ist ein neues Königsgeschlecht gezeugt worden, und in den Adern meines Sohnes fließt heiliges Blut, obwohl ich mit Mist zwischen den Zehen geboren wurde!«

Er begab sich auch zu Eje; aber dieser ließ ihn nicht vor, sondern verrammelte voll Schreck die Tür mit Stühlen und Betten und rief mit knarriger Greisenstimme: »Weiche von mir, Haremhab! Ich bin der Pharao und weiß, daß du gekommen bist, mich umzubringen, um dir die Kronen aufs Haupt zu setzen.« Haremhab aber lachte herzlich über ihn, drückte die Tür mit einem Fußtritt ein, warf die Möbel dahinter um und schüttelte Eje, indem er sprach: »Ich denke gar nicht daran, dich umzubringen, du alter Fuchs! Ich trachte dir nicht nach dem Leben, mein lieber Kuppler! Denn mein Leben ist mir kostbar, und du bist mir mehr wert als ein Schwiegervater. Allerdings rasselt der Atem in deinen Lungen, rinnt dir der Speichel aus dem Mund, und zittern dir die Knie; aber du mußt durchhalten, Eje! Noch einen Krieg mußt du erleben, damit Ägypten einen Pharao habe, über den es in meiner Abwesenheit seinen Haß ergießen kann.« Eje schenkte jedoch seinen Worten keinen Glauben, sondern weinte bitterlich, schlang ihm die zitternden Arme um die Knie und bat flehentlich, ihn am Leben zu lassen. Da empfand Haremhab Mitleid mit ihm und ging seines Weges, ließ ihn bewachen und setzte seine Diener in die hohen Ämter ein, um dafür zu sorgen, daß Eje in seiner Abwesenheit keine Dummheiten begehe. Ejes Zeit war nämlich abgelaufen; er war nur noch ein törichter, grauhaariger Greis, der bei festlichen Anlässen vor dem Volk mit Mühe die Kronen auf seinem vor Angst wackelnden Kopf trug.

Seiner Gemahlin Baketamon brachte Haremhab große Geschenke: Goldsand in geflochtenen Körben, Felle von Löwen, die er mit dem Pfeil erlegt hatte, Straußenfedern und lebende Meerkatzen; aber sie würdigte die Gaben keines Blickes und sprach zu ihm: »Vor den Menschen bist du vielleicht mein Gemahl, und ich habe dir einen Sohn geboren. Begnüge dich also damit! Denn wisse, wenn du mich noch einmal berührst, werde ich auf dein Lager spucken und dich so schmählich betrügen, wie es noch keine Frau ihrem Mann angetan hat! Um Schande über dich zu bringen, werde ich mit Sklaven und Trägern verkehren und auf den Plätzen Thebens den Eseltreibern beiliegen. Kein Mann ist so niedrig, daß ich mich ihm nicht hingeben würde, um deine Ehre zu besudeln, falls du dich erdreisten solltest, mich nochmals anzurühren. In meinen Augen gibt es in ganz Ägypten keinen erbärmlicheren Menschen: deine Hände und dein ganzer Leib riechen nach Blut, und mich ekelt vor deinen Annährungen.«

Aber ihr Widerstand reizte Haremhabs Verlangen, das immer heißer wurde, und beim Anblick ihrer schmalen Wangen und schlanken Hüften und ihres höhnischen Mundes begann er zu keuchen und vermochte die Hände nicht mehr zu beherrschen. Deshalb kam er zu mir, klagte bitterlich und sagte: »Sinuhe, warum muß es so sein, und was habe ich Böses getan, daß meine Frau sich mir verweigert? Du weißt, wieviel ich geleistet habe, um sie zu gewinnen und mich ihrer durch meinen Ruhm würdig zu erweisen. Du weißt auch, daß ich die schönen Frauen, welche mir die Soldaten als Beute ins Zelt brachten, nicht oft angerührt, sondern meist meinen Soldaten überlassen habe. Wahrlich, an meinen Fingern und Zehen kann ich die Weiber abzählen, mit denen ich in all diesen Jahren der Fleischeslust gepflegt habe; auch habe ich keine große Freude daran gehabt, weil ich immer an Baketamon dachte, die mir bezaubernd wie der Mond erschien. Welcher Fluch verbittert mein Leben und verdüstert mir den Sinn wie Schlangengift?«

Ich erwiderte: »Kümmere dich nicht um ein närrisches Frauenzimmer! Sie leidet ihres Stolzes wegen mehr als du. Theben wimmelt von schönen Weibern, und das geringste Sklavenmädchen kann dir das gleiche spenden wie sie.« Aber Haremhab wandte ein: »Du sprichst gegen dein eigenes Herz, Sinuhe! Du weißt sehr gut, daß die Liebe sich nicht befehlen läßt!« Ich warnte: »Versuche nicht, ihre Liebe zu erzwingen; denn daraus entsteht nur Böses!« Aber Haremhab glaubte mir nicht, sondern meinte: »Sinuhe, gib mir ein Schlafmittel für sie, damit ich sie wenigstens im Schlummer nehmen und genießen kann! Denn, wahrlich, die Frau schuldet mir viel Wollust.«

Ich verweigerte ihm eine solche Arznei; aber er wandte sich an andere Ärzte, und diese überreichten ihm gefährliche Mittel, durch welche die Frauen liebestoll und wie von einem inneren Brand verzehrt werden. Diese Arzneien gab Haremhab Baketamon heimlich ein; doch wenn er sich aus ihrer Umarmung löste, haßte sie ihn noch mehr als zuvor und sprach: »Vergiß meine Worte nicht, und denke an meine Warnung!« Haremhab aber war blind und verrückt in seinem maßlosen Verlangen nach ihr und brachte sie dazu, Wein und betäubende Säfte zu trinken, bis sie einschlief, gefühllos ward und keinen Widerstand mehr leistete. Wieviel Genuß Haremhab dabei hatte, kann ich nicht sagen; doch glaube ich, daß ihm die Fleischeslust bitter schmeckte und die Liebe herb wurde. Deshalb fuhr er bald nach Syrien, um den Krieg gegen die Hetiter vorzubereiten. Er sagte: »In Kadesch haben die großen Pharaonen die Grenzsteine Ägyptens aufgerichtet, und ich werde erst dann zufrieden sein, wenn meine Streitwagen in Kadesch einfahren.«

Aber als die Prinzessin Baketamon merkte, daß wieder ein Korn für sie zu keimen begann, schloß sie sich in ihre Zimmer ein, um keinen Menschen mehr zu sehen, und sann in Einsamkeit über ihre Erniedrigung nach. Die Diener und Sklaven mußte ihr das Essen vor die Tür stellen, und sie verzehrte davon so wenig, daß die Ärzte des goldenen Hauses ihren Tod befürchteten. Als die Zeit der Niederkunft herannahte, ließen sie Baketamon insgeheim bewachen, weil sie befürchteten, sie wolle im Verborgenen gebären und ihr Kind in einem Binsenboot den Strom hinabschicken, wie die Mütter taten, für welche die Geburt eines Kindes eine Schande bedeutete. Sie tat dies aber nicht, sondern berief in ihrer schweren Stunde die Ärzte zu sich, und die Schmerzen der Entbindung entlockten ihr ein Lächeln, und frohlockend in ihren Qualen gebar sie Haremhab einen Sohn. Ohne den Vater zu befragen, gab sie ihm den Namen Sethos, denn so sehr haßte sie dieses Kind, daß sie ihm den Namen Seths verlieh und es Sohn des Seth nannte.

Nachdem sie sich von der Geburt erholt hatte, ließ sie sich den Leib einreiben und das Gesicht schminken, kleidete sich in königliches Linnen, hieß ihre Sklavinnen sie über den Strom zum anderen Ufer rudern, begab sich von dort allein zum Fischmarkt von Theben, wandte sich an die Eseltreiber und Wasserträger und Fischausweider und sprach zu ihnen: »Ich bin die Prinzessin Baketamon und die Gemahlin Haremhabs, des großen ägyptischen Heerführers. Zwei Söhne habe ich ihm geboren; aber er ist ein langweiliger, träger Mann, der nach Blut riecht und mir keinen Genuß bereitet. Kommt daher mit mir der Wollust zu pflegen und mich zu ergötzen; denn ich finde Gefallen an euren narbigen Fäusten und an dem gesunden Mistduft eurer Haut wie auch an dem Geruch der Fische.«

Die Leute auf dem Fischmarkt waren über ihre Worte höchst erstaunt, mißtrauten ihr und suchten ihr auszuweichen. Sie aber lief ihnen eigensinnig nach, lockte sie mit Worten und entblößte ihre Reize vor ihnen, indem sie sagte: »Bin ich euch etwa nicht schön genug? Oder weshalb zögert ihr sonst? Vielleicht bin ich schon alt und häßlich. Aber ich verlange von euch kein anderes Gegengeschenk als von jedem einen Stein; und als Pfand für seinen Genuß mag ein jeder mir den Stein geben, den er nach seinem Belieben auswählt, nur soll dessen Größe der des Genusses, den ich dem Geber bereitet habe, entsprechen. Ihr könnt mir glauben, daß ich mein Bestes tun werde, um euch zu befriedigen.«

Noch nie zuvor hatten die Leute des Fischmarktes etwas Ähnliches erlebt, und ich glaube, daß sich solches überhaupt noch nie in Ägypten zugetragen hatte. Deshalb betrachteten sie die Prinzessin lüstern und mit Augen, die ihre Schönheit verschlangen; das königliche Linnen ihres Gewandes lockte sie, der Duft ihrer Salben stieg ihnen zu Kopf, und sie sprachen untereinander: »Noch nie ist etwas Derartiges vorgekommen! Bestimmt ist sie eine Göttin, die sich uns offenbart, weil wir ihr gefallen. Wir täten sicherlich unrecht, uns ihrem Willen zu widersetzen; denn ihr gleicht keine der irdischen Frauen, die wir gesehen haben, und sie bietet uns gewiß einen göttlichen Genuß.« Andere meinten: »Jedenfalls ist es ein wohlfeiles Vergnügen; denn für weniger als ein Kupferstück verkaufen sich nicht einmal die Negerweiber. Zweifellos ist sie eine Priesterin, die Steine zu einem neuen Tempel sammelt; und deshalb vollbringen wir nur eine den Göttern wohlgefällige Tat, wenn wir ihrem Wunsch nachkommen.«

So redeten die Männer des Fischmarktes zögernd hin und her, indem sie ihr zum Ufer ins Röhricht folgten, wohin sie ihnen voranging, um neugierigen Zuschauern zu entgehen. Die Fischausweider meinten zwar: »Wir wollen ihr lieber nicht nachlaufen: vielleicht stammt sie aus dem Wasser und will uns in dieses hinunterziehen; vielleicht ist sie auch die Katzenhäuptige selber; und ihr Haupt verwandelt sich in einen Katzenkopf, und sie zerkratzt uns mit den Hinterfüßen unser Glied, wenn wir sie umarmen.« Trotzdem folgten sie ihr, von ihrer Schönheit und ihrem Wohlgeruch betört, und die Eseltreiber verlachten die Fischausweider und sagten: »Mag ihr Haupt sich sogar in einen Fischkopf verwandeln: wir fürchten ihre Hinterfüße nicht, wenn wir nur unsere Lust an ihr haben!«

So trieb Baketamon im Röhricht den ganzen Tag Unzucht mit den Männern vom Fischmarkt, und sie enttäuschte sie nicht, sondern tat ihr Bestes, um ihnen Genuß zu bereiten. Jene waren davon so befriedigt, daß sie ihr mit Freuden Steine brachten; und darunter waren manche Blöcke, wie man sie für gute Bezahlung von den Steinhauern bekommt. Zueinander sagten sie: »Wahrlich, noch nie haben wir ein solches Prachtweib gefunden! Ihr Mund ist wie flüssiger Honig, ihre Brüste gleichen reifen Äpfeln, und ihr Schoß ist heiß wie die Kohlenglut, in der man Fische brät.« Sie forderten sie auf, bald wieder auf den Fischmarkt zu kommen, und versprachen, viele und große Steine für sie zu sammeln, und sie lächelte die Leute bescheiden an und bedankte sich für ihre Freundlichkeit und für den hohen Genuß, den sie ihr bereitet hatten. Als sie am Abend in das goldene Haus zurückkehrte, mußte sie am Ufer ein großes Boot mieten, um alle Steine, die sie im Laufe des Tages erhalten hatte, mitnehmen zu können.

Deshalb wählte sie am folgenden Tag ein geräumigeres Schiff und ließ sich von den Sklavinnen über den Strom rudern, um sie dann am Kai warten zu lassen, während sie sich auf den Gemüsemarkt begab. Dort redete sie mit den Bauern, die bei Sonnenaufgang mit ihren Ochsen und Eseln nach Theben kamen; es waren Männer mit rauher, sonngebräunter Haut und harten, von der Landarbeit schwieligen Händen. Auch mit den Straßenkehrer und Latrinenleerern sprach sie und mit den Wächtern, die mit ihren Holzspeeren den Leuten ihren Platz auf dem Markt anwiesen. Und sie sagte zu ihnen: »Ich bin die Prinzessin Baketamon, die Gemahlin Haremhabs, des großen ägyptischen Feldherrn. Aber er ist ein langweiliger, träger Mann; sein Leib ist kraftlos und vermag mir kein Lustgefühl zu spenden. Auch behandelt er mich schlecht, nimmt mir meine Kinder weg und Vertreibt mich aus meinen Zimmern, so daß ich nicht einmal ein Dach über dem Kopf besitze. Kommt daher, euch mit mir zu ergötzen und mir Genuß zu bereiten! Ich verlange nichts anderes dafür als von jedem einen kleinen Stein, und ich glaube, daß euch nicht einmal die Negerweiber von Theben ein billigeres Vergnügen bereiten können.«

Die Bauern und Straßenkehrer und schwarzen Wächter erschraken über ihre Worte sehr, besprachen sich eifrig miteinander und meinten: »Sie kann unmöglich eine Prinzessin sein; denn noch nie hat sich eine Prinzessin auf diese Art benommen.« Sie aber lockte die Leute mit ihren Worten, entblößte ihre Reize vor ihnen und schritt ihnen voraus in das Röhricht am Stromufer: da ließen sie, um ihr zu folgen, ihre Gemüsefuhren und Ochsen und Esel stehen und die Straßen ungekehrt. Am Ufer sagten sie zueinander: »Ein solcher Leckerbissen wird dem Armen nicht jeden Tag angeboten! Sie ist nicht schwarz wie unsere Frauen, sie trägt das Gewand der Vornehmen, ihre Haut zeugt von edler Abstammung, und sie duftet wie die Reichen. Wir wären Narren, die Lust, die sie uns bietet, zu verschmähen! Wir wollen im Gegenteil unser Bestes tun, um auch ihr Genuß zu bereiten, da sie von ihrem Gatten so schwer vernachlässigt wird.«

Um sich mit ihr zu ergötzen, holten sie deshalb mit Eifer Steine herbei; die Bauern brachten ihr Steinstufen von den Schenken und die Wächter stahlen Mauersteine aus den Bauten des Pharao. Aber nachdem sie Baketamon beschlafen hatten, wurden sie von Angst ergriffen und meinten: »Wenn sie wirklich Haremhabs Gemahlin ist, wird er uns, wenn er etwas erfährt, töten; denn er ist schrecklicher als ein Löwe und ein eitler, um seinen guten Ruf besorgter Mann, obwohl er unfähig ist, seiner Frau Genuß zu bereiten. Doch wenn wir unser genügend sind, kann er uns nicht erschlagen, weil er nicht seiner Frau wegen ganz Theben umbringen kann. Deshalb ist es nur zu unserem Vorteil, wenn sie recht viele Steine erhält.« Aus diesem Grund kehrten sie auf den Gemüsemarkt zurück und erzählten allen Freunden und Bekannten ihr Erlebnis und führten auch diese in das Röhricht. So kam es, daß bald ein breiter Pfad durch das Schilfgelände ausgetreten war und der Ort am Abend aussah wie ein Tummelplatz von Flußpferden. Auf dem Gemüsemarkt griff große Unordnung um sich, viele Fuhren wurden gestohlen, die Esel schrien vor Durst an den Straßenecken, die Ochsen brüllten, und die Wirte der Bierstuben liefen jammernd und sich die Haare raufend durch die Straßen, weil ihre kostbaren Steinschwellen verschwunden waren. In der Abenddämmerung aber dankte Prinzessin Baketamon bescheiden allen Männern des Gemüsemarktes für ihre große Freundlichkeit und für den hohen Genuß, den sie ihr bereitet hatten, und sie halfen ihr die Steine in das Boot schaffen, das so schwer beladen wurde, daß es beinahe zu sinken drohte und die Sklavinnen es nur mit größter Anstrengung über den Strom zur Landestelle des goldenen Hauses zu rudern vermochten.

An diesem Abend wußte bereits ganz Theben, daß die Katzenhäuptige sich selbst dem Volk offenbart und mit ihm Wollust getrieben hatte, und die seltsamsten Gerüchte verbreiteten sich in der Stadt.

Am folgenden Tag ging die Prinzessin Baketamon auf den Kohlenmarkt und gab sich den Kohlenhändlern, und am Abend war das zerstampfte Röhricht am Nilufer von Ruß geschwärzt, und die Priester vieler kleiner Tempel beklagten sich erbittert darüber, daß die Männer vom Kohlenmarkt gottlose Gesellen seien, die sich nicht schämten, Steine aus den Tempelmauern zu reißen, um ihren Genuß damit zu bezahlen; aber diese leckten sich den Mund und sagten prahlerisch: »Wahrlich, wir haben einen himmlischen Leckerbissen gekostet. Ihre Lippen schmolzen in unserem Mund, ihre Brüste waren wie glühende Brände in unseren Händen, und wir haben nie zuvor geahnt, daß es auf Erden eine solche Wonne gäbe.«

Als aber in Theben bekannt wurde, daß sich die Göttin schon zum dritten Mal dem Volke offenbart habe, wurde alles von einer großen Unruhe ergriffen; sogar ehrbare Männer liefen ihren Frauen davon in die Weinschenken und holten sich nächtlicherweile Steine aus den Bauten des Pharao. So lief am folgenden Tag jeder männliche Einwohner der Stadt mit einem Stein unter dem Arm von Markt zu Markt und erwartete ungeduldig das Erscheinen der Katzenhäuptigen. Nun gerieten die Priester vollends in Bestürzung und sandten ihre Wächter aus, um die Frau, die so viel Zügellosigkeit und Gerüchte verursachte, zu ergreifen.

An diesem Tag jedoch fuhr die Prinzessin Baketamon nicht in die Stadt, sondern ruhte sich in dem goldenen Haus von ihren Anstrengungen aus, lächelte jeden, der mit ihr sprach, an, benahm sich äußerst liebenswürdig, wand beim Reden schüchtern ihren Leib und hielt sich die Hand vor den Mund, um das Gähnen zu verbergen. Der Hof wunderte sich sehr über ihr Gebaren; denn noch ahnte niemand, daß sie wirklich die geheimnisvolle Frau war, die sich dem Volke Thebens offenbart und sich mit Kohlenbrennern und Fischausweidern ergötzt hatte.

Die Prinzessin Baketamon aber betrachtete die Steine, die sie in allen Größen und Farben erhalten hatte, ließ den Baumeister der königlichen Viehställe zu sich in den Park kommen, unterhielt sich liebenswürdig mit ihm und sprach: »Ich habe diese Steine am Ufer gesammelt. Sie sind mir heilig, und an jeden von ihnen knüpft sich eine frohe Erinnerung, die ich desto lebendiger fühle, je größer der Stein ist. Führe mir daher aus diesen Steinen ein Lusthaus auf, damit ich ein Dach über dem Haupte habe; denn mein Gemahl vernachlässigt mich und vertreibt mich, wie du wohl weißt und gehört hast, aus meinen Gemächern. Aber baue das Lusthaus hoch und geräumig, und beginne sofort mit der Arbeit! Wenn nötig, werde ich dir mehr Steine verschaffen, damit du nicht zu fürchten brauchst, der Vorrat könne sich vorzeitig erschöpfen.«

Der Baumeister der Viehställe war ein einfacher Mann, sein Lendentuch war grau vom Staub der behauenen Steine, seine Schultern waren verkrümmt vom vielen Steinschleppen, und er war nicht gewohnt, mit vornehmen Frauen zu sprechen. Er bohrte daher schüchtern mit den Zehen im Sand, schlug die Augen vor der Prinzessin nieder und meinte demütig: »Hohe Prinzessin Baketamon, ich fürchte, meine Kunstfertigkeit werde nicht genügen, um dir ein Lusthaus zu bauen, das deines Ranges würdig wäre. Auch sind die Steine von sehr verschiedener Farbe und Größe, weshalb ihr Zusammenfügen große Schwierigkeiten bereiten und einen vollendeten künstlerischen Geschmack erfordern wird. Vertraue diese Aufgabe lieber einem vornehmen Tempelbauer oder Künstler an; denn ich fürchte, bei meiner Ungeschicklichkeit deinen schönen Gedanken nicht ausführen zu können, so daß du die Steine umsonst gesammelt hast.«

Aber die Prinzessin Baketamon berührte sachte seine knöcherne Schulter und sprach: »Mein lieber Steinsetzer der Viehställe, ich bin nur eine arme Frau, mein Mann mißachtet mich, und ich kann es mir nicht leisten, vornehme Baumeister zu dingen. Auch dir kann ich, so gern ich es möchte, kein angemessenes Geschenk für diese Arbeit machen; aber wenn das Lusthaus fertiggestellt ist, will ich es mit dir besichtigen, und wenn ich damit zufrieden bin, werde ich mich dir darin hingeben. Das verspreche ich dir. Ich habe dir nichts anderes zu bieten; aber ein wenig Genuß werde ich dir wohl zu spenden vermögen, da ich noch nicht ganz alt und häßlich bin – und das soll dein Lohn sein. Auch glaube ich, daß du mir ein wahres Lustgefühl geben kannst; denn du bist ein kräftiger Mann mit starken Armen, und ich bin eine kleine Frau, die sich nach Freude sehnt, weil mein Gemahl, wie du wohl weißt, mir keine bereitet.«

Ihre Worte und die Berührung ihrer Hand reizten den Baumeister der Viehställe sehr, ihre Schönheit machte ihm einen großen Eindruck, und er entsann sich aller Märchen von Prinzessinnen, die sich in arme Männer verlieben und ihnen zu Gefallen sind. Wohl fürchtete er sich gewaltig vor Haremhab; doch war sein Verlangen stärker als seine Angst, und Baketamons Worte schmeichelten ihm. Deshalb begann er in aller Eile aus den von Baketamon gesammelten Steinen im Park des goldenen Hauses ein Lusthaus aufzuführen, und er bemühte sich dabei aus allen Kräften. Während der Arbeit träumte er mit wachen Augen, und mit jedem Stein fügte er einen Traum in die Wände des Lusthauses. Seine gierige Liebe machte ihn zu einem großen Künstler; denn bei den täglichen Begegnungen mit der Prinzessin Baketamon erglühte unter den Blicken ihrer mandelförmigen Augen sein Herz und verbrannte wie dürres Schilfgras zu Asche. Er strengte sich irrsinnig an, wurde vor Arbeit und Sehnsucht mager und bleich, und aus den Steinen in den verschiedensten Farben und Größen schuf er ein Lusthaus, wie noch nie eines erstellt worden war.

Aber die von Baketamon gesammelten Steine waren bald aufgebraucht, und sie mußte sich nach neuen umsehen. Deshalb ließ sie sich ans andere Ufer rudern und verdiente sich weitere Steine auf allen Märkten, in der Widderstraße und in den Tempelgärten, bis es schließlich in ganz Theben keinen Ort mehr gab, wo sie nicht Steine gesammelt hätte. Die Männer, welche ihr die Steine brachten, suchten sie vor aller Augen zu verbergen; aber schließlich wurde Baketamon doch von den Wächtern der Priester und des Pharao gefaßt, die sie wegen ihres Betragens fesseln und vor die Richter schleppen wollten. Da hob sie stolz das Haupt und sprach zu ihnen: »Ich bin die Prinzessin Baketamon und möchte gerne sehen, wer sich erdreistet, mich zu richten! Denn in meinen Adern fließt heiliges Blut, und ich bin die Erbin der Pharaonengewalt. Doch ich will euch nicht für eure Dummheit bestrafen, sondern mich auch mit euch einlassen, weil ihr kräftige, stattliche Männer seid. Dafür muß mir jeder einen Stein bringen. Holt diese Gaben aus dem Haus der Richter oder aus den Tempeln, und je größer die Steine sind, die ihr mir bringt, desto größer wird auch der Genuß sein, den ich euch bereite! Verlaßt euch auf mein Wort! Ich werde mein Bestes tun, und darin habe ich mir bereits eine bedeutende Geschicklichkeit erworben.«

Die Wächter betrachteten sie und wurden von der gleichen Tollheit befallen wie die übrigen Thebaner. Deshalb machten sie sich auf und brachen mit ihren Speeren große Steine aus dem Tor des Gerichtshauses und aus den Vorhöfen des Ammontempels und brachten sie Baketamon, worauf sie ihr Versprechen in reichem Maße erfüllte. Doch muß ich zu ihrer Ehre sagen, daß sie sich beim Steinesammeln niemals frech gebärdete; denn nachdem sie sich den Männern hingegeben, hüllte sie sich scheu in ihr Gewand, schlug den Blick nieder und gestattete niemand mehr, sie zu berühren. Nach dem Erlebnis mit den Wächtern aber mußte sie, um heimlich Steine sammeln zu können, Schutz innerhalb der Wände der Freudenhäuser suchen. So kam sie in viele derartige Stätten des Armenviertels, und für den Genuß, den sie bot, verlangte sie von jedem Kunden bloß einen Stein. Deshalb war sie ein gern gesehener Gast der Freudenhäuser, und die Wirte zogen großen Nutzen aus ihr. Aber um Wächtern und Volksansammlungen aus dem Weg zu gehen, mußte sie jeden Tag ein anderes Haus aufsuchen.

Zu jener Zeit wußten bereits alle Leute um ihr Tun, und die Höflinge schlichen sich in den Park, um heimlich das Lusthaus zu betrachten, das der Baumeister der Viehställe aus den Steinen ausführte, die sie ihm lieferte. Als die Hofdamen die Höhe der Wände und die zahllosen großen und kleinen Steine erblickten, schlugen sie die Hände vor den Mund und stießen laute Ausrufe des Erstaunens aus. Kein Mensch getraute sich jedoch, Baketamon selbst etwas zu sagen oder sie zu warnen, und Eje, der in seiner Eigenschaft als Pharao ihrem Treiben vielleicht hätte Einhalt gebieten können, freute sich in der Torheit seines Alters, als er davon hörte, weil er dachte, dies werde Haremhab großen Verdruß bereiten; denn alles, was Haremhab ärgerte, machte ihm Vergnügen.

Haremhab aber führte Krieg in Syrien, eroberte Sidon, Simyra und Byblos von den Hetitern und schickte viele Beutestücke und Sklaven nach Ägypten, und seiner Gemahlin sandte er prachtvolle Geschenke. In Theben wußte bereits jedermann, was sich in dem goldenen Haus zutrug; doch hatte kein Mensch den Mut, Haremhab über das Benehmen seiner Frau aufzuklären, und seine eigenen Leute, denen er hohe Ämter verliehen hatte, taten, als merkten sie nichts. Sie sprachen zueinander: »Das ist ein Familienzwist. Es ist klüger, die Hand zwischen zwei Mühlsteine zu stecken, als sich in einen Streit zwischen Mann und Frau einzumischen, weil dann sofort beide über einen herfallen!« Deshalb erfuhr Haremhab nichts von den Vorgängen in Theben, und ich glaube, das war für Ägypten gut; denn das Wissen um Baketamons Gebaren hätte seine Gemütsruhe während des Krieges in Syrien sehr beeinträchtigt.

Ich habe viel über andere Menschen und ihre Erlebnisse zu der Zeit, da Eje in Ägypten regierte, berichtet, von mir selbst hingegen bis jetzt geschwiegen. Der Grund dafür liegt darin, daß es nicht mehr viel von mir zu erzählen gibt. Der Strom meines Lebens brauste nicht mehr, sondern floß langsam und bedächtig dahin, um in seichtes Wasser zu münden. Unter Mutis Obhut und Pflege lebte ich Jahr für Jahr in dem einstigen Haus des Kupferschmieds, das die alte Frau nach dem Brand wieder hatte aufführen lassen; meine Füße waren müde von dem Wandern auf staubigen Wegen, meine Augen matt vom Betrachten der ruhelosen Welt und mein Herz aller irdischen Eitelkeit überdrüssig. Deshalb schloß ich mich in meinem Haus ein und empfing keine Kranken mehr; nur meine Nachbarn heilte ich hier und da von ihren Leiden, und auch die Allerärmsten pflegte ich zuweilen, weil sie den anderen Ärzten keine Geschenke zu machen vermochten. Ich ließ einen neuen Teich in meinem Hof anlegen, setzte darin bunte Fische aus, und während die Esel auf der Straße vor meinem Haus schrien und die Kinder im Staub spielten, saß ich den ganzen Tag unter der Sykomore in meinem Garten und beobachtete die Fische, die gemächlich in dem kühlen Wasser herumschwammen. Der von der Feuersbrunst verkohlte Baum trieb neue Blätter, Muti sorgte gut für mich, bereitete mir kräftiges Essen, ließ mich, wenn ich Lust dazu hatte, mäßig Wein trinken und wachte darüber, daß ich reichlich schlief und meinen Körper nicht überanstrengte.

Aber die Speisen hatten in meinem Mund den Geschmack verloren, und der Wein bereitete mir keinen Genuß mehr, sondern brachte mir in der Abendkühle alle meine Untaten, das erlöschende Antlitz des Pharao Echnaton und das junge Gesicht des Prinzen Schubattu vor die Augen. Deshalb widerte es mich an, Menschen mit meiner Heilkunst zu pflegen; denn meine Hände waren verflucht und säten den Tod, obwohl ich gewünscht hatte, sie möchten nur Gutes tun. Darum betrachtete ich bloß noch die Fische in meinem Teich und beneidete sie um ihr kaltes Blut und ihre kühle Wollust und ihr vor der heißen Erdenluft behütetes Dasein im Wasser.

Während ich so in meinem Garten in der Betrachtung der Fische versunken dasaß, sprach ich zu meinem Herzen: »Beruhige dich, törichtes Herz! Nicht dein ist die Schuld; denn alles, was auf Erden geschieht, ist sinnlos; weder Güte noch Bosheit haben einen Zweck, und nur Geiz und Haß und Gier beherrschen die Welt. Dich trifft keine Schuld, Sinuhe; denn der Mensch bleibt sich gleich und wandelt sich nicht. Die Jahre rollen dahin, Menschen werden geboren, und Menschen sterben; ihr Dasein ist wie ein heißer Hauch, und sie sind nicht glücklich im Leben, sondern erst im Tod. Deshalb gibt es nichts Eitleres als ein Menschenleben, und du hast keine Schuld; denn unverwandelt bleibt der Mensch von Zeitalter zu Zeitalter. Umsonst versenkst du einen Menschen in den Strom der Zeit; sein Herz wird sich nicht wandeln, und unverändert wird er wieder auftauchen. Vergeblich prüfst du den Menschen durch Kriege und Not, durch Pest und Brand, durch Götter und durch Speere; denn durch die Prüfungen wird der Mensch verstockt, bis er böser ist als das Krokodil, und deshalb kann er nur nach dem Tod gut sein.«

Aber mein Herz widersprach mir: »Sitze nur ruhig da und betrachte die Fische, Sinuhe! Ich gebe dir doch, solange du lebst, keine Ruhe, sondern wiederhole dir täglich und stündlich: ›Gerade du bist schuldig!‹, und allnächtlich hämmere ich in deinen Schlaf: ›Du, Sinuhe, bist schuldig! Denn ich, dein Herz, bin unersättlicher als das Krokodil und fordere ein volles Maß für dich.‹«

Da ergrimmte ich heftig über mein Herz und erklärte ihm: »Du bist ein törichtes Herz, und ich bin deiner höchst überdrüssig, weil du mir in meinem ganzen Leben nichts als Verdruß und Schwierigkeiten, Kummer und Mühen bereitet hast. Ich weiß recht gut, daß mein Verstand ein Mörder mit schwarzen Händen ist; doch sind meine Mordtaten gering im Vergleich zu allen anderen Freveln, die in der Welt geschehen, und niemand kann mich ihretwegen anklagen. Deshalb verstehe ich nicht, warum du mir immer wieder meine Schuld vorhältst und mir keine Ruhe gönnst! Wer bin ich, daß ich die Welt verbessern und die menschliche Natur umwandeln sollte?«

Doch mein Herz erwiderte: »Ich rede nicht von deinen Mordtaten und klage dich nicht ihretwegen an, wenn ich dir auch Tag und Nacht das Wörtlein schuldig, schuldig ins Gewissen hämmere. Tausende und aber Tausende haben deinetwegen sterben müssen, Sinuhe. An Hunger und Pest und Wunden, durch Waffen und unter den Rädern der Streitwagen sind sie gestorben und auf den Wüstenwegen verschmachtet. Deinetwegen sind Kinder im Mutterschoß gestorben und Stöcke auf gekrümmte Rücken niedergesaust; deinetwegen tritt das Unrecht die Gerechtigkeit mit Füßen, besiegt die Gier die Güte und wird die Welt von Räubern beherrscht. Wahrlich, Sinuhe, unzählige Menschen sind deinetwegen umgekommen! Ihre Hautfarbe und ihre Sprache sind verschieden; aber sie alle sind schuldlos gestorben, Sinuhe, weil sie dein Wissen nicht besaßen. Alle, die gestorben sind und noch sterben werden, sind deine Brüder und sterben deinetwegen, und du, Sinuhe, trägst allein die Schuld daran! Deshalb vernimmst du ihr Schluchzen in deinen Träumen, verderben dir ihre Tränen den Geschmack des Essens im Mund und vereitelt dir ihr Weinen jede Freude, Sinuhe.«

Ich war jedoch verstockt und sprach zu meinem Herzen: »Die Fische sind meine Brüder, weil sie keine eitlen Reden halten. Die Löwen der Wüste und die Wölfe der Wildnis sind meine Brüder, aber nicht der Mensch. Denn der Mensch weiß, was er tut.«

Mein Herz verhöhnte mich und sagte: »Weiß der Mensch wirklich, was er tut? Du weißt es wohl; denn du besitzest die Erkenntnis, und deshalb lasse ich dich bis zu deinem letzten Tag leiden, die übrigen aber wissen nichts. Deshalb bist du allein schuldig, Sinuhe.«

Da schrie ich auf, zerraufte mir die Kleider und sprach: »Verflucht sei all mein Wissen, meine Hände und meine Augen seien verflucht, noch weit mehr verflucht sei mein verrücktes Herz, das mir keinen Frieden gönnt, sondern mich mit erdichteten Anklagen quält! Bringt mir unverzüglich die Waage des Osiris, damit mein lügenhaftes Herz gewogen werde! Mögen seine vierzig gerechten Paviane ihr Urteil über mich fällen; denn ich traue ihnen mehr als meinem elenden Herzen!«

Muti kam eilends aus der Küche, tauchte ein Tuch in das Wasser des Teiches, wickelte es mir um den Kopf und kühlte mir die Stirn mit einem kalten Krug. Sie machte mir heftige Vorwürfe, brachte mich zu Bett und gab mir allerlei übelschmeckende Arzneien ein, bis ich mich beruhigte. Ich war lange krank. Während meiner Krankheit hörte ich mich zu Muti von der Waage des Osiris plappern, von einer Mehlwaage, die ich sie zu holen bat, von Merit und von dem kleinen Thoth. Sie pflegte mich treu, und ich glaube, es war für sie ein besonderer Spaß, mich im Bett halten und füttern zu dürfen. Sie verbot mir auch aufs strengste, je wieder in der Sonnenglut im Garten zu sitzen; denn mein inzwischen völlig kahl gewordener Schädel ertrug die giftigen Strahlen nicht mehr. Aber ich hatte gar nicht in der Sonne, sondern im kühlen Schatten der Sykomore gesessen und die Fische betrachtet, die meine Brüder waren, weil sie nicht sprechen konnten.

Allmählich besserte sich mein Zustand, und nach der Genesung ward ich ruhiger und friedliebender als zuvor und söhnte mich auch mit meinem Herzen aus, das mir fortan weniger Qualen bereitete. Ich erwähnte auch Merit und den kleinen Thoth vor Muti nicht mehr, sondern bewahrte sie in meinem Herzen, in dem Bewußtsein, daß sie hatten sterben müssen, damit mein Maß voll und ich einsam würde. Denn hätten sie bei mir geweilt, wäre ich glücklich und zufrieden gewesen und mein Herz verstummt. Nach dem mir bestimmten Maß mußte ich ein Einsamer bleiben und war daher schon in der Nacht meiner Geburt allein in einem Binsenboot den Strom hinabgeschwommen.

Nach meiner Genesung zog ich insgeheim das grobe Tuch der Armen an, legte die Sandalen ab und verließ das Haus des Kupferschmieds, um nicht mehr dorthin zurückzukehren. Ich begab mich in den Hafen und schleppte mit den anderen Trägern schwere Lasten, bis mir der Rücken weh tat und die Schultern sich krümmten. Ich ging zum Gemüsemarkt und nährte mich von faulenden Abfällen; dann ging ich auf den Kohlenmarkt und trat mit den Füßen die Blasebälge der Kohlenbrenner und der Schmiede. Ich arbeitete mit den Sklaven und Ausladern, aß von ihrem Brot, trank von ihrem Bier und sprach zu ihnen: »Es gibt keinen Unterschied zwischen den Menschen; denn jeder kommt nackt zur Welt, und das Herz ist der einzige Maßstab für die Menschen. Ein Mensch kann nicht nach seiner Hautfarbe oder seiner Sprache, nach seinen Kleidern oder seinem Schmuck, nach seinem Reichtum oder seiner Armut gemessen werden, sondern einzig und allein nach seinem Herzen. Deshalb ist ein guter Mensch mehr wert als ein böser und Gerechtigkeit besser als Ungerechtigkeit. Das ist alles, was ich weiß.«

So sprach ich in der Abenddämmerung zu den Leuten vor den Lehmhütten, während die Frauen ihre Kochfeuer auf der Straße anzündeten und der Geruch gebratener Fische in die Lüfte stieg und das Armenviertel erfüllte. Sie lachten über mich und meinten: »Du bist verrückt, Sinuhe, Sklavenarbeit auszuführen, da du doch des Lesens und Schreibens kundig bist! Sicherlich hast du dich an einem Verbrechen beteiligt und willst dich bei uns verstecken; aus deiner Rede spricht ein Hauch des Atons, dessen Namen wir nicht nennen dürfen. Doch werden wir dich den Wächtern nicht verraten, sondern behalten dich bei uns, damit du uns mit deinem tollen Geschwätz belustigst. Hoffentlich aber vergleichst du uns nicht etwa mit schmutzigen Syriern und elenden Negern; denn wenn wir auch bloß Sklaven und Träger sind, so sind wir doch Ägypter und als solche stolz auf unsere Hautfarbe uns unsere Sprache, auf unsere Vergangenheit uns unsere Zukunft.«

Ich erwiderte: »Eure Rede ist unklug! Denn solange ein Mensch auf sich selbst stolz ist und sich für mehr als andere hält, werden Fesseln und Stockhiebe, Speere und Raben in der Spur des Menschen folgen. Deshalb soll ein Mensch nur nach seinem Herzen gewogen werden. Alle Menschenherzen sind im Werte gleich; keines ist besser als das andere, weil alle Tränen, die der Schwarzen und die der Braunen, die der Syrier und die der Neger, die der Armen und die der Reichen, vom gleichen Wasser und gleich salzig sind.«

Sie aber lachten laut über mich, schlugen sich auf die Knie und sagten: »Wahrlich, du bist ein verrückter Kerl und hast gewiß nichts vom Leben gesehen, sondern bist in einem Sack aufgewachsen. Ein Mensch kann nicht leben, ohne sich einem anderen überlegen zu fühlen; und kein Mensch ist so erbärmlich, daß er sich nicht in irgendeiner Beziehung für besser hält, als ein anderer es ist. Einer ist stolz auf die Gewandtheit seiner Finger, ein anderer auf die Stärke seiner Schultern, der Dieb ist stolz auf seine Schlauheit, der Richter auf seine Weisheit, der Geizige auf seinen Sparsinn, der Verschwender auf seine Großzügigkeit, die Gattin auf ihre Tugend, das Freudenmädchen auf seine Freiheit von Vorurteilen. Nichts bereitet dem Menschen größere Befriedigung als das Bewußtsein, einen anderen irgendwie zu übertrumpfen. Deshalb sind wir auch ungemein zufrieden, klüger und durchtriebener zu sein als du, obwohl wir bloß arme Leute und Sklaven sind, während du des Lesens und Schreibens kundig bist.«

Ich antwortete: »Und doch ist ein guter Mensch besser als ein böser und Gerechtigkeit besser als Ungerechtigkeit.«

Aber wie wandten erbittert ein: »Was ist Güte, und was ist Bosheit? Wenn wir einen schlechten Herrn umbringen, der uns mit seinem Stock quält, die Nahrung stiehlt und unsere Frauen und Kinder hungern läßt, so ist das eine gute Tat! Dennoch schleppen uns die Wächter vor die Richter des Pharao, schneiden uns Ohren und Nase ab und hängen uns mit dem Kopf nach unten an die Mauer. Das ist Gerechtigkeit; doch kommt es darauf an, mit welchen Gewichten gewogen wird! Denn oft genug ist sie nichts anderes als Ungerechtigkeit, weil wir nicht unsere Gewichte in die Waagschale legen dürfen und diejenigen der königlichen Richter von den unsrigen abweichen.«

Sie gaben mir gebratene Fische zu essen, und ich trank von ihrem dünnen Bier und sagte: »Der Totschlag ist das niedrigste Verbrechen, das ein Mensch begehen kann, und es ist ebenso gemein, um einer guten wie um einer bösen Sache willen zu töten; denn einen Menschen soll man nicht umbringen, sondern von seiner Bosheit heilen.«

Da legten sie die Hände vor den Mund, blickten um sich und riefen: »Wir wollen ja niemand umbringen! Peitsche und Stock haben uns so unterwürfig gemacht, daß wir alle Fußtritte und Demütigungen und Kränkungen hinnehmen, ohne deshalb jemand zu töten. Wenn du aber die Menschen von ihrer Bosheit heilen und Gerechtigkeit an Stelle der Ungerechtigkeit setzen willst, tust du wahrlich besser daran, dich an die Vornehmen und Reichen und Richter zu wenden und mit diesen darüber zu sprechen! Denn unseres Erachtens findest du bei ihnen mehr Bosheit und Ungerechtigkeit als bei uns.« So sprachen sie, lachten, stießen einander mit den Ellbogen und zwinkerten sich gegenseitig zu. Ich aber sagte:

»Ich spreche lieber zu euch, weil ihr das Volk seid und eure Zahl wie die der Sandkörner oder der Sterne ist und alles Böse und alles Unrecht wie auch alles Gute von euch ausgeht. Auch seid ihr nicht schuldlos; denn wenn ihr geheißen werdet zu gehen, so geht ihr und tut, was man euch befiehlt. Da kommen oft die Werber des Pharao zu euch, schenken euch Kupfer und Tuchstücke und geben euch Speere in die Hand, um euch in den Krieg zu führen; und wenn ihr nicht folgt, werdet ihr gebunden und gefesselt und in den Krieg gezwungen, wo ihr Menschen, die euresgleichen sind, verletzt und tötet, eurem Bruder den Bauch aufschlitzt und auf eure Taten mächtig stolz seid. Und doch ist der Totschlag ein gemeinsames Verbrechen, und das vergossene Blut kommt über eure Häupter. Deshalb seid ihr wahrlich nicht unschuldig.«

Einige von ihnen sannen über meine Worte nach und meinten seufzend: »Wahrlich, keiner von uns ist schuldlos; aber wir wurden in eine böse Welt geboren, und weinend traten wir aus dem Mutterleib ins Leben. Deshalb folgen uns die Tränen auf allen Lebenswegen, Knechtschaft ist unser ewiges Los, und die Priester zwingen uns durch Zauberei, noch nach dem Tod für unsere Herren zu arbeiten, indem sie den Holzbildnissen, die unsere Gebieter ins Grab begleiten, unsere Namen verleihen. Geh zu den Reichen und Vornehmen, um mit ihnen von diesen Dingen zu sprechen! Denn wir sind der Meinung, die Bosheit und Ungerechtigkeit gehe von ihnen aus, weil sie die Machthaber sind; aber klage nicht uns an, wenn sie dir wegen deiner Worte die Ohren abschneiden und dich in die Gruben verschicken oder mit dem Kopf nach unten an die Mauer hängen! Deine Äußerungen sind gefährlich. Wenn einer von uns so redete, würden wir uns nicht getrauen, zuzuhören; bei dir aber können wir es wagen, weil du offensichtlich ein harmloser Narr bist. Am gefährlichsten aber sind deine Worte über den Krieg, weil Mannesehre im Krieg das Töten verlangt. Haremhab, unser großer Feldherr, würde dich auf der Stelle umbringen lassen, wenn er dich so zum Volke reden hörte, obwohl er sonst ein kraftloser Mann ist, der nicht einmal seine Frau zu befriedigen vermag.«

Ich befolgte ihren Rat und wandte ihren Lehmhütten den Rücken. Barfuß, im grauen Gewand der Armen, ging ich durch die breiten Straßen Thebens und sprach zu den Kaufleuten, die Sand ins Mehl mischten, zu den Mühlenbesitzern, die den Sklaven Knebel in den Mund steckten, damit sie von dem Getreide, das sie zu mahlen hatten, nichts verzehrten, zu den Richtern, die den Waisen ihr Erbe stahlen und für große Geschenke ungerechte Urteile fällten. Ich sprach zu ihnen allen, tadelte sie ihrer Untaten und ihrer Bosheit wegen, und sie hörten voll Staunen auf meine Worte. Zueinander aber sagten sie: »Wer ist eigentlich dieser Arzt Sinuhe, der so kühne Worte spricht, obgleich er das Gewand eines Sklaven trägt? Seien wir vorsichtig! Er ist gewiß ein Spion des Pharao. Sonst würde er sich nicht erdreisten, so zu uns zu sprechen.« Deshalb hörten sie mich geduldig an; die Kaufleute hießen mich eintreten und boten mir Geschenke an, die Mühlenbesitzer gaben mir Wein zu trinken, und die Richter fragten mich um Rat, um ihre Urteile danach zu fällen. So kam es, daß sie Urteile zugunsten der Armen gegen die Reichen aussprachen, wodurch sie große Unzufriedenheit erregten und es in Theben hieß: »Jetzt kann man sich nicht einmal mehr auf die Richter des Pharao verlassen! Sie sind größere Betrüger als die Diebe, die sie verurteilen.«

Aber als ich mich an die Edelleute wandte, verhöhnten sie mich, hetzten ihre Hunde auf mich und ließen mich durch ihre Diener mit Peitschenhieben aus ihren Höfen treiben, so daß meine Schmach groß war und ich mit zerrissener Kleidung und bluttriefenden Beinen, die Hunde dicht auf den Fersen, durch die Straßen von Theben floh. Die Leute lachten über mich und schlugen sich auf die Knie, die Kaufleute und die Richter des Pharao, die meine Schande sahen, schenkten meinen Worten kein Gehör mehr, sondern verjagten mich und riefen die Wächter, mich mit den Speerschäften zu schlagen. Und sie sagten zu mir: »Wenn du mit deinen falschen Anklagen noch mal zu uns kommst, lassen wir dich als Verleumder und Volksaufwiegler aburteilen, und die Raben werden deinen an der Mauer hängenden Leib zerhacken!«

Da kehrte ich schmachbedeckt in das einstige Haus des Kupferschmieds im Armenviertel zurück; denn all meine Mühe war vergeblich, und mein Tod hätte niemand außer den Raben genützt.

Deshalb ließ ich mich wieder unter der Sykomore in meinem Garten nieder, um die stummen Fische in meinem Teich zu betrachten, was sehr beruhigend auf mein Gemüt wirkte, während auf der Straße vor meinem Haus die Esel schrien und die Kinder Krieg spielten und einander mit Eselkot bewarfen. Auch Kaptah besuchte mich; denn er war nach Theben zurückgekehrt, weil er die Sklaven und Träger, die wieder demütig und unterwürfig waren, nicht mehr zu fürchten brauchte. Er kam wie ein ganz großer Herr des Weges, in einer von achtzehn schwarzen Sklaven getragenen, bemalten und verzierten Sänfte, in der er auf weichen Teppichen saß, und kostbare Salbe troff ihm von der Stirn ins Gesicht und bewahrte ihn vor dem Gestank des Armenviertels. Er war wieder sehr beleibt, und ein syrischer Goldschmied hatte ihm aus Gold und Edelsteinen ein neues Auge angefertigt, auf das er sehr stolz war; doch scheuerte es, weshalb er es, als wir allein unter der Sykomore saßen und uns niemand sah, aus der Augenhöhle herausnahm.

Vor allem umarmte er mich und weinte vor Wiedersehensfreude. Schwer wie ein Berg stützte er sich mit den breiten Händen auf meine Schultern, und der Sitz, den ihm Muti anbot, zerbrach unter seinem Gewicht, weshalb er die Zipfel seines Gewandes hob und sich vor mir auf den Boden niederließ. Er berichtete mir, daß der Krieg in Syrien seinem Ende entgegengehe und daß die Streitwagen Haremhabs bis vor Kadesch gelangt seien, ohne jedoch diese Festung einnehmen zu können. Er prahlte mit seinen Reichtümern und den großen Geschäften, die er in Syrien getätigt hatte, und erzählte, daß er einen alten Palast im Viertel der Reichen gekauft und Hunderte von Arbeitern für dessen standesgemäßen Umbau gedungen habe, da es sich für einen begüterten Mann wie ihn nicht mehr zieme, eine Hafenschenke zu halten.

Er sagte zu mir: »Ich habe böse Dinge über dich, Sinuhe, in Theben vernommen: man behauptet, du habest das Volk gegen Haremhab aufgewiegelt, und die Richter und Reichen sind sehr ergrimmt über dich, weil du sie unrechter Handlungen bezichtigt hast. Ich rate dir, vorsichtig zu sein; denn wenn du weiter solche gefährlichen Reden führst, werden sie dich eines Tages zur Grubenarbeit verurteilen. Und wenn sie das nicht zu tun wagen, weil du ein Freund Haremhabs bist, so vergiß nicht, daß dein Haus schon einmal abgebrannt ist! Sie könnten in einer dunklen Nacht wiederkommen, dich umbringen und Feuer an dein Haus legen, wenn du fortfährst, die Armen gegen die Reichen aufzuhetzen. Erzähle mir, was mit dir los ist und wer dir die Flausen in den Kopf gesetzt hat, damit ich dir helfe, wie es sich für einen guten Diener seinem Herrn gegenüber ziemt.«

Ich neigte mein Haupt vor ihm und erzählte ihm alles, was ich gedacht und getan hatte, und verriet ihm auch die Zweifel meines Herzens. Er hörte mir zu, schüttelte den Kopf so, daß seine Hängebacken wackelten, und meinte schließlich: »Ich weiß wohl, daß du ein einfältiger und törichter Mann bist, Sinuhe; doch glaubte ich, deine Narrheit würde sich mit den Jahren legen. Aber sie scheint nur schlimmer zu werden, obgleich du mit eigenen Augen alles Böse, das Atons wegen geschah, gesehen hast und auch dein Lebensglück durch Aton zerstört wurde. Vielleicht wurdest du in Achetaton von Echnatons Krankheiten angesteckt. Doch glaube ich eher, daß dein Leiden hauptsächlich von deinem Müßiggang herrührt, dem du auch deine verrückten Ideen zu verdanken hast. Deshalb tätest du besser daran, deinen Beruf wieder auszuüben, deine Kenntnisse zu verwerten, den Leuten den Schädel zu untersuchen und ihre Leiden zu lindern. Durch die Heilung eines einzigen Kranken vermittelst du mehr Nutzen als durch deine Reden, die dir und deinen Zuhörern nur Schaden bringen. Willst du aber deinen Beruf nicht mehr ausüben, so kannst du dir die Zeit mit irgendeiner ersprießlichen Beschäftigung vertreiben, wie es die reichen Müßiggänger zu tun pflegen. Ich glaube nicht, daß du zum Flußpferdjäger taugst, und vielleicht magst du auch Katzengeruch nicht leiden; sonst könntest du wie Pepitamon als Züchter von Rassenkatzen berühmt werden. Hingegen könntest du Gegenstände und Schmuckstücke aus der Pyramidenzeit sammeln oder auch syrische Musikinstrumente oder Götzenbilder der Neger, wie sie die aus dem Lande Kusch zurückgekehrten Soldaten verkaufen. Wahrlich, Sinuhe, es gibt viele Möglichkeiten, sich die Langeweile in der Freizeit zu vertreiben, um nicht auf eitle Gedanken zu kommen. Wein und Weiber sind nicht die übelsten Mittel, und auch beim Würfelspiel vergeht die schlechte Laune rasch, obwohl dies für einen schwachen Mann wie du, mein Herr Sinuhe, ein gefährliches Vergnügen ist, wenn du mir gestattest, dies zu sagen. Doch um Ammons willen: würfle, vergeude dein Gold an Frauen, betrinke dich, tu, was du willst, nur stürze dich nicht durch deine wahnwitzigen Reden ins Verderben! Denn ich liebe dich sehr, mein Herr Sinuhe, und will nicht, daß dir etwas Böses widerfahre!«

Ferner sprach er: »Nichts ist vollkommen auf Erden, an jedem Brot ist die Rinde verbrannt, jede Frucht ist wurmstichig, und der Mensch, der Wein getrunken hat, leidet an Katzenjammer. Deshalb gibt es auch keine vollkommene Gerechtigkeit, sondern jede Gerechtigkeit enthält auch eine Ungerechtigkeit; gute Taten können böse Folgen zeitigen, und die beste Absicht kann, wie dich Echnatons Beispiel gelehrt, zu einem Unmaß an Tod und Untergang führen. Sieh mich an, Sinuhe: ich begnüge mich mit meinem Los, nehme in Eintracht mit den Göttern und den Menschen an Gewicht zu, die Richter des Pharao verneigen sich vor mir, und die Leute preisen meinen Namen, während dir, Sinuhe, die Hunde an die Beine pissen. Beruhige dich also, mein Herr: du kannst nichts dafür, daß die Welt so ist, wie sie ist, noch daß sie immer so gewesen ist und auch immer so bleiben wird.«

Ich sah seine Beleibtheit und seinen Reichtum und beneidete ihn sehr um seine Gemütsruhe. Ich sagte zu ihm: »Dein Wille geschehe, Kaptah, ich werde mich beruhigen und meinen Beruf wieder aufnehmen. Aber sage mir, gedenkt man Atons noch, und verfluchen ihn die Menschen immer noch? Ich frage dies, weil du seinen Namen nanntest, obwohl solches verboten ist, und derjenige, der es dennoch tut, in die Gruben verschickt oder mit dem Kopf nach unten an die Stadtmauer gehängt werden kann.«

Kaptah sagte: »Wahrlich, Aton wurde ebenso rasch vergessen, wie in Achetaton die Säulen einstürzten, die Mauern zerbröckelten und die Fußböden sich mit Sand bedeckten. Aber ich habe noch einige Künstler Bilder im Stile Atons zeichnen sehen, es gibt Märchenerzähler, die gefährliche Sagen erdichten, und zuweilen sieht man auf dem Markt das Kreuz Atons im Sand. Auch kommt es vor, daß Besucher der öffentlichen Aborte das Kreuz an die Wände sudeln. Somit dürfte Aton noch nicht ganz tot sein.«

»Dein Wille geschehe!« versprach ich ihm abermals. »Ich werde mich beruhigen und meinen Beruf wieder ausüben; ebenso will ich deinen Rat befolgen und mich zum Zeitvertreib als Sammler betätigen. Da ich aber nicht gern andere Leute nachahme, werde ich etwas sammeln, was keiner sammelt: nämlich alle Menschen, die sich noch an Aton erinnern!« Kaptah glaubte, ich scherze, und lachte über meine Worte wie über einen guten Witz; denn er wußte ebensogut wie ich, wieviel Böses Aton über Ägypten und auch über mich selbst gebracht hatte. Alsdann unterhielten wir uns in Eintracht über allerlei Fragen, und Muti brachte uns Wein, den wir zusammen tranken, bis sich seine Sklaven einfanden, um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein – denn seiner Beleibtheit wegen fiel es ihm schwer, allein auf die Beine zu kommen – und er verließ mein Haus in seiner Sänfte. Am folgenden Tag aber sandte er mir kostbare Gaben, die mir das Leben bequem und üppig machten, weshalb zu meiner Freude nichts gefehlt haben würde, wenn ich überhaupt vermocht hätte, Freude zu empfinden.

6

Also ließ ich das Ärzteschild von neuem über der Tür meines Hauses anbringen, begann meinen Beruf wieder auszuüben und verlangte von meinen Patienten Geschenke, die ihren Vermögensverhältnissen angepaßt waren; von den Armen aber heischte ich nichts, weshalb mein Hof zwar vom Morgen bis zum Abend von Kranken wimmelte, ich aber doch keinen großen Gewinn hatte. Während des Pflegens horchte ich die Patienten vorsichtig über Aton aus; denn ich wollte sie nicht erschrecken und wünschte auch nicht, daß ungünstige Gerüchte über mich verbreitet würden; mein Ruf in Theben war bereits schlecht genug. Mit der Zeit aber merkte ich, daß Aton vergessen war und von niemand mehr verstanden wurde. Höchstens entsannen sich die Aufwiegler und diejenigen, denen Unrecht widerfahren war, seiner und gestalteten ihn nach ihrem eigenen Sinn und dem erlittenen Unrecht um, und so wurde sein Kreuz als böses Zaubermittel verwendet, um die Menschen zu schädigen.

Als die Überschwemmung zurücktrat, starb der Priester Eje. Es wurde behauptet, er sei verhungert, weil er vor lauter Angst, vergiftet zu werden, nichts mehr zu essen gewagt habe: nicht einmal Brot aus selbstgemahlenem Mehl, das er eigenhändig in dem goldenen Haus buk, weil er befürchtete, die Getreidekörner möchten bereits während des Wachstums auf den Feldern vergiftet worden sein. Nun beendete Haremhab den Krieg in Syrien und ließ den Hetitern Kadesch, das er nicht zu erobern vermochte, um dann im Triumphzug stromaufwärts nach Theben zurückzukehren und alle seine Siege zu feiern. Da er Eje nicht als einen richtigen Pharao betrachtete, ordnete er nach dessen Tod keine Trauerzeit an, sondern verkündete, der Verstorbene sei ein falscher Pharao gewesen, der durch unaufhörliche Kriegführung und ungerechte Besteuerung nichts als Leiden über Ägypten gebracht habe. Er hatte sofort nach Ejes Tod den Krieg beendet und die Tore des Sekhmettempels schließen lassen; daher brachte er das Volk wirklich dazu, zu glauben, er habe den Krieg niemals gewünscht, sondern nur dem bösen Pharao Gehorsam geleistet. Deshalb jubelte das Volk über seine Rückkehr und pries ihn und seine Soldaten.

Kaum nach Theben zurückgekehrt, ließ Haremhab zuerst mich rufen und sprach zu mir: »Sinuhe, mein Freund, ich bin heute älter als damals, da wir voneinander schieden: dein Ausspruch, ich sei ein blutbefleckter Mann, der Ägypten Schaden zufüge, hat schwer auf meinem Gemüt gelastet. Aber jetzt habe ich mein Ziel erreicht und Ägyptens Macht wiederhergestellt. Keine Gefahr von außen bedroht mehr das Land; denn ich habe den Speeren der Hetiter die Spitze abgebrochen. Die Eroberung von Kadesch überlasse ich meinem Sohn Ramses; ich selbst habe den Krieg satt. Jetzt will ich für Ramses ein starkes Reich aufbauen. Zwar ist Ägypten heute schmutzig wie der Stall eines Armen; aber bald wirst du mich den Mist auskehren sehen. Ich werde Recht an Stelle von Unrecht setzen und einen jeden nach seinem Maß lohnen: den Arbeitsamen nach seinem Fleiß, den Trägen nach seiner Faulheit, den Dieb nach seinen Streichen, den Ungerechten nach seiner Ungerechtigkeit. Wahrlich, mein Freund Sinuhe, mit mir halten die alten Zeiten wieder ihren Einzug in Ägypten, und alles wird wieder werden, wie es einst gewesen. Deshalb werde ich aus den Herrscherrollen die elenden Namen Tutanchamons und Ejes streichen lassen, wie dies bereits mit dem Namen Echnatons geschehen ist, als ob sie niemals regiert hätten, und zähle den Beginn meiner eigenen Herrschaft von der Todesnacht des großen Pharao an, da ich, von meinem fliegenden Falken geführt und den Speer in der Hand, einst nach Theben kam.«

Wehmütig stützte er das Haupt in die Hände; der Krieg hatte ihm Runzeln ins Gesicht gegraben, und in seinen Augen war keine Freude mehr, als er sprach: »Wahrlich, die Welt hat sich verändert, seit wir jung waren, der Arme sein Maß voll bekam und in den Lehmhütten weder an Öl noch an Fett Mangel herrschte. Aber mit mir werden die alten Zeiten wiederkehren, Sinuhe! Ägypten wird fruchtbar und reich werden, meine Schiffe sollen nach Punt segeln, die Arbeiten in den Steinbrüchen und verlassenen Bergwerken wieder aufgenommen und die Tempel größer als früher werden und Gold, Silber und Kupfer in die Schatzkammern des Pharao fließen! Wahrlich, in zehn Jahren wirst du Ägypten nicht wiedererkennen, Sinuhe, und nach Ablauf dieser Zeit wird es in Kêmet keine Bettler und Krüppel mehr geben. Denn die Kraftlosen müssen den Lebenstauglichen weichen; ich will Ägypten von dem schwachen, kränklichen Blut säubern, damit die Ägypter wieder ein starkes Volk werden, mit dem meine Söhne den Erdkreis erobern können.«

Ich empfand jedoch keine Freude bei seinen Worten, bei denen mir das Herz vor Kälte erstarrte. Deshalb verzichtete ich darauf, ihn anzulächeln, und blieb wortlos vor ihm stehen. Das erzürnte ihn; er runzelte wie früher die Stirn, begann sich mit der goldenen Peitsche auf die Schenkel zu klatschen und sagte:

»Du bist immer noch der gleiche Sauertopf wie einst, Sinuhe! In meinen Augen gleichst du einem unfruchtbaren Dornbusch, und ich begreife nicht, weshalb ich mir so viel Freude von unserem Wiedersehen versprochen habe. Dich ließ ich zuerst rufen, noch bevor ich meine Söhne auf den Schoß gehoben und meine Gemahlin Baketamon umarmt habe; denn der Krieg und die Macht haben mich zu einem einsamen Mann gemacht: in Syrien besaß ich keinen einzigen Menschen, mit dem ich Freud und Leid hätte teilen können; immer mußte ich, wenn ich mit jemand sprach, meine Worte sorgfältig und je nach dem Zweck abwägen, den ich erreichen wollte. Bei dir, Sinuhe, aber will ich nichts erreichen, und ich bitte dich nur um deine Freundschaft. Denn es hat den Anschein, als sei deine Zuneigung zu mir erloschen und es bereite dir das Wiedersehen mit mir keine Freude.«

Meine einsame Seele rief nach ihm, ich verneigte mich tief und sprach: »Haremhab, von meinen Freunden aus unserer Jugendzeit bist du der einzige, der nach all den Geschehnissen noch am Leben ist. Deshalb werde ich dich immer lieben. Jetzt ist die Macht dein, niemand kann deine Gewalt hindern, und bald wirst du dir die Kronen der beiden Reiche aufs Haupt setzen. Deshalb, Haremhab, flehe ich dich an: laß Aton wieder auferstehen! Um Echnatons, unseres Freundes willen, bring Aton wieder zu Ehren! Unserer furchtbaren Verbrechen wegen sollst du Aton wieder erheben, damit alle Völker Brüder seien, kein Unterschied zwischen Mensch und Mensch bestehe und es nie wieder Krieg gebe!«

Als Haremhab dies vernahm, schüttelte er mitleidig das Haupt und sagte: »Du bist noch ebenso verrückt wie früher, Sinuhe. Verstehst du denn nicht, daß Echnaton einen Stein in die Fluten warf, der ein großes Geplätscher verursachte, wogegen ich dafür sorgen werde, daß die Wasserfläche sich wieder glättet, als wäre nie etwas hineingefallen? Begreifst du nicht, daß mich mein Falke in der Todesnacht des großen Pharao in das goldene Haus leitete, damit Ägypten nicht untergehe, sondern auch nach ihm lebe, weil die Götter seinen Untergang nicht wünschen? Deshalb werde ich alles wieder zum Alten zurückführen. Mit der Gegenwart ist der Mensch nie zufrieden, in seinen Augen sind nur die Vergangenheit und die Zukunft gut; daher werde ich Vergangenheit und Zukunft vereinen. Ich werde die von ihren Schätzen allzu aufgeblähten Reichen ausquetschen und gleich ihnen die allzu fettleibigen Götter, damit in meinem Lande die Reichen nicht zu reich und die Armen nicht zu arm seien und weder Götter noch Menschen danach trachten, mir die Macht streitig zu machen. Aber ich sehe, daß ich umsonst zu dir spreche und daß du meine Gedanken nicht erfassen kannst, weil deine eigenen Gedanken diejenigen eines schwachen und kraftlosen Mannes sind. Die Schwächlinge und Memmen aber besitzen kein Lebensrecht auf Erden, sondern sind dazu geschaffen, von den Starken zertreten zu werden. Sie verdienen auch kein besseres Los. Nicht anders werden auch die schwachen Völker unter den Fersen der starken zermalmt und nehmen die Großen den Kleinen das Futter vom Mund weg. So ist es stets gewesen und wird es immer bleiben.«

So schieden Haremhab und ich voneinander, und unsere einstige Freundschaft bestand nicht mehr. Als ich gegangen war, begab er sich zu seinen Söhnen, hob sie auf sein starkes Knie und warf sie in seiner Freude hoch in die Luft; und von ihnen begab er sich in die Gemächer der Prinzessin Baketamon und sprach zu ihr: »Meine königliche Gemahlin! Wie der Mond hast du in all den vergangenen Jahren in meiner Erinnerung geleuchtet, und groß ist meine Sehnsucht nach dir gewesen. Aber jetzt ist mein Werk vollbracht, und in Bälde wirst du als große königliche Gemahlin an meiner Seite leben, wozu dein heiliges Geblüt dich berechtigt. Deinetwegen, Baketamon, ist viel Blut geflossen, Städte sind zu Asche geworden, und das Wehklagen der Menschen auf den Spuren meiner Heeresmacht ist bis zum Himmel gestiegen. Habe ich meinen Lohn nicht verdient?«

Baketamon lächelte ihn liebenswürdig an, berührte seine Schulter schüchtern mit der Hand und sagte: »Wahrlich, mein Gemahl Haremhab, du großer Feldherr Ägyptens, du hast deinen Lohn verdient! Deshalb habe ich in meinem Garten ein Lusthaus ohnegleichen aufführen lassen, um dich nach Verdienst empfangen zu können, und in meiner Sehnsucht nach dir habe ich jeden Stein für seine Wände selber gesammelt. Laß uns also in dieses Lusthaus gehen, damit du deinen Lohn in meinem Schoß empfangest und ich dir Freude bereite!«

Ihre Worte entzückten Haremhab. Sie griff behutsam nach seiner Hand und führte ihn in den Garten. Die Hofleute aber flohen und versteckten sich und hielten beim Gedanken an das Bevorstehende vor Schreck den Atem an, und sogar die Sklaven und die Stallknechte entwichen, so daß kein Mensch im goldenen Haus blieb. So leitete Baketamon Haremhab in ihr Lusthaus; doch als er sie voller Ungeduld in seine Arme nehmen wollte, wehrte sie ihm sanft und sagte:

»Zügle noch für eine Weile dein männliches Begehren, Haremhab, damit ich dir erzähle, mit welch großer Mühe ich dieses Lusthaus erbaut habe! Ich hoffe, du entsinnst dich der Worte, die ich äußerte, als du mich das letztemal mit Gewalt nahmst. Betrachte daher genau diese Steine und wisse, daß jeder Stein in den Wänden und im Fußboden eine Erinnerung an meine Fleischeslust mit einem anderen Mann bedeutet. Wie du siehst, ist die Zahl dieser Andenken nicht gering. Aus meinen Genüssen habe ich dieses Lusthaus zu deinen Ehren erbaut, Haremhab! Den großen weißen Stein hier brachte mir ein Fischausweider, der toll in mich verliebt war, und den grünen dort erhielt ich von einem Latrinenentleerer vom Kohlenmarkt, während mir die acht braunen Steine daneben von einem Gemüsehändler geschenkt wurden, der in meinem Schoß unersättlich war und meine Liebeskunst höchlich pries. Wenn du dich geduldest, will ich dir die Geschichte eines jeden Steines erzählen, Haremhab, da wir ja reichlich Zeit dazu haben. Noch viele Jahre liegen vor uns, und auch unsere alten Tage werden wir gemeinsam verbringen; doch glaube ich, daß die Anekdoten über diese Steine bis in mein hohes Alter reichen werden, wenn ich dir jedesmal, da du mich umarmen willst, einige davon schildere.«

Haremhab schenkte ihren Worten anfangs keinen Glauben, sondern hielt sie für einen übermütigen Scherz, um so mehr, als Baketamons zurückhaltendes Gebaren ihn täuschte. Als er ihr aber in die mandelförmigen Augen blickte, entdeckte er darin einen Haß, der schlimmer war als der Tod – und nun mußte er ihren Worten glauben. Und als er deren ganze Tragweite erkannte, geriet er außer sich vor Zorn und griff nach seinem hetitischen Messer, um Baketamon, die seine Mannheit und seine Eitelkeit so fürchterlich verletzt hatte, umzubringen. Sie aber entblößte ruhig ihre Brust und sprach spöttisch:

»Stoß zu, Haremhab, und stich dir mit dem Messer die Kronen vom Haupte! Denn ich bin eine Priesterin der Sekhmet und von heiligem Geblüt: wenn du mich tötest, hast du dein Anrecht auf den Thron der Pharaonen verwirkt.«

Ihre Worte brachten Haremhab zur Besinnung; denn er war gezwungen, in Eintracht mit ihr zu leben, weil ihm nur die Ehegemeinschaft mit ihr gesetzliches Recht auf die Kronen der Pharaonen verlieh. So fesselte ihn Baketamon, und er vermochte nichts gegen sie. Ihre Rache jedoch vollendete sich, als er nicht einmal wagte, ihr Lusthaus abreißen zu lassen, und es alle Tage, wenn er aus seinen Zimmern ins Freie blickte, vor Augen haben mußte. Nach reiflicher Überlegung fand er keinen anderen Ausweg, als Unkenntnis über Baketamons Benehmen zu heucheln. Wenn er befohlen hätte, das Lusthaus niederzulegen, hätten alle verstanden, daß ihm bekannt war, wie Baketamon das ganze Volk Thebens auf sein Lager hatte spucken lassen. Deshalb zog er es der öffentlichen Schande vor, hinter dem Rücken verlacht zu werden. Fortan aber ließ er Baketamon in Ruhe und lebte einsam, und zur Ehre seiner Gemahlin muß gesagt werden, daß sie desgleichen tat, weiteren Bauunternehmungen entsagte und sich mit ihrem schönen Lusthaus begnügte.

So erging es Haremhab, und ich glaube nicht, daß er noch viel Freude an seinen Kronen hatte, als die Priester ihn salbten und ihm die rote und die weiße, die des Oberen und die des Unteren Landes aufsetzten. Er wurde mißtrauisch, und auf keinen Menschen verließ er sich fortan ohne Rückhalt, weil er annehmen mußte, daß ihn jeder Baketamons wegen insgeheim verlache. So trug er für immer einen Dorn in seiner Lende, und sein Herz fand keinen Frieden. Auch konnte er sich nicht mit anderen Frauen trösten; denn die erlittene Kränkung war zu grausam gewesen, als daß er noch mit Frauen hätte Fleischeslust treiben wollen. Deshalb betäubte er seinen Kummer und seine Bitterkeit mit Arbeit und begann den Mist aus Ägypten hinauszukehren, um alles wieder zum alten zurückzuführen und das Recht an Stelle des Unrechtes zu setzen.

7

Um gerecht zu sein, muß ich nämlich auch von Haremhabs guten Taten berichten. Das Volk pries seinen Namen, hielt ihn für einen guten Herrscher und zählte ihn schon nach seinen ersten Regierungsjahren zu den großen Pharaonen Ägyptens. Das geschah namentlich darum, weil er scharf hinter den Reichen und Vornehmen her war. Er gestattete nicht, daß jemand zu reich oder vornehm wurde und ihm die Macht streitig machen konnte – und dies gefiel dem Volk sehr. Er bestrafte ungerechte Richter und gewährte den Armen ihr Recht; er änderte die Steuererhebung ab, bezahlte aus der Schatzkammer des Pharao den Steuereintreibern ein regelmäßiges Gehalt und ließ nicht mehr zu, daß sie das Volk aussaugten und sich selbst dabei bereicherten.

Rastlos und unaufhörlich bereiste er das Land, von Bezirk zu Bezirk, von Dorf zu Dorf, und untersuchte jeden Mißbrauch. Seinen Weg bezeichneten die abgeschnittenen Ohren und blutigen Nasen ungerechter Steuereinheber, und an den Orten, wo er zu Gericht saß, war das Klatschen der Stockhiebe und das Wehgeschrei der Gezüchtigten weithin vernehmbar. Sogar die Allerärmsten durften ihm ihre Anliegen selbst vorbringen, seine Beamten konnten sie nicht daran hindern, und er gewährte dem Volk unbestechliche Gerechtigkeit. Er entsandte wieder Schiffe nach Punt, die Frauen und Kinder der Seeleute weinten an den Landungsstegen und schürften sich nach gutem Brauch das Gesicht mit Steinen. Ägypten bereicherte sich gewaltig; denn von zehn Schiffen kehrten jährlich drei mit großen Schätzen beladen zurück. Er errichtete auch neue Tempel und gab den Göttern, was ihnen nach Rang und Recht gebührte, wobei er keinen anderen Gott als Horus und keinen anderen Tempel als denjenigen in Hatnetsut sonderlich begünstigte. Dort verehrte das Volk sein Bildnis wie dasjenige eines Gottes und opferte ihm Ochsen. Es segnete seinen Namen und pries ihn in hohen Tönen, und schon zu seinen Lebzeiten waren seltsame Sagen über ihn in Umlauf.

Auch Kaptah hatte viel Erfolg und wurde mit jedem Jahr reicher, bis schließlich kein Mann in Ägypten mehr mit ihm wetteifern konnte. Da er weder Frau noch Kinder besaß, setzte er Haremhab zum Erben ein, um in Frieden leben und immer größere Schätze sammeln zu können. Aus diesem Grund preßte ihn Haremhab nicht so hart aus wie die übrigen Reichen des Landes und gestattete auch den Steuereintreibern nicht, ihn allzu streng anzufassen.

Kaptah lud mich oft in sein Haus ein, das im Stadtteil der Vornehmen lag und mit seinen Gärten ein ganzes Häuserviertel einnahm, so daß kein Nachbar seine Ruhe stören konnte. Er aß aus goldenem Geschirr, in seinem Haus floß das Wasser nach kretischer Art aus Silberhähnen, seine Badewanne war aus Silber, der Sitz in seinem Abort aus Ebenholz, und ergötzliche, aus kostbaren Steinen zusammengefügte Bilder schmückten die Wände dieses Gemachs. Er bot mir seltene Speisen und Pyramidenwein an, während der Mahlzeiten unterhielten ihn Spielleute und Sänger, und es führten die schönsten und geschicktesten Tänzerinnen Thebens die kunstvollsten Tänze vor ihm auf.

Er veranstaltete auch große Gastmahle, und die vornehmen und reichen Ägypter besuchten gerne sein Haus, obwohl er ein geborener Sklave war, der in seinem Benehmen öfters seine Abstammung verriet, indem er sich in die Finger schneuzte und beim Essen laut rülpste. Aber er war ein großzügiger Gastgeber, der seinen Gästen kostbare Geschenke machte, und seine Ratschläge in geschäftlichen Dingen waren schlau, weshalb jedermann aus seiner Freundschaft Nutzen zog. Seine Reden und Anekdoten waren witzig; zum Ergötzen seiner Gäste zog er zuweilen das Gewand eines Sklaven an und erzählte nach Sklavenart allerlei Lügengeschichten; denn er war zu reich, um befürchten zu müssen, wegen seiner Vergangenheit verhöhnt zu werden. Er brüstete sich im Gegenteil vor den ägyptischen Edelleuten mit seiner Herkunft. Zu mir sagte er:

»Mein Herr Sinuhe, sobald ein Mensch reich genug ist, kann er nicht mehr arm werden: so seltsam ist die Weltordnung, daß er, ohne einen Finger zu rühren, immer noch reicher wird. Meinen Reichtum aber habe ich ursprünglich dir zu verdanken; deshalb werde ich dich immer als meinen Herrn anerkennen, und du sollst nie im Leben darben, obgleich es besser für dich ist, nicht reich zu sein, weil du den Reichtum nicht richtig zu verwenden weißt, sondern mit ihm nur Unruhe säen und viel Schaden anrichten würdest. Es ist daher dein Glück, daß du deinen Reichtum zu Zeiten des falschen Pharao vergeudet hast; denn ich werde schon auf deinen Vorteil sehen und dafür sorgen, daß dir nichts fehlt.«

Er förderte auch Künstler; diese formten ihn in Stein, wobei sie ihm eine feine, vornehme Gestalt, schlanke Glieder, kleine Hände und Füße und hohe Backenknochen verliehen. Auch waren auf den Bildnissen seine beiden Augen sehend, und er saß mit gekreuzten Beinen in Gedanken versunken da, eine Schriftrolle auf den Knien und einen Schreibstift in der Hand, obwohl er in Wirklichkeit nicht einmal den Versuch unternommen hatte, lesen und schreiben zu lernen, sondern seine Schreiber es für sich tun ließ, wie diese denn auch alle großen Zahlen für ihn ausrechneten. Diese Bildnisse belustigten Kaptah sehr, und die Ammonpriester, denen er nach seiner Rückkehr aus Syrien unermeßliche Geschenke Übermacht hatte, um in Eintracht mit den Göttern zu leben, ließen im großen Tempel seine von ihm gestiftete Bildsäule aufführen.

Auch ließ er sich ein mächtiges Grab in der Totenstadt bauen, und Künstler schmückten dessen Wände mit zahlreichen Bildern aus seinem täglichen Leben und von seinen Vergnügungen. Sie stellten ihn sehend und vornehm und schlank dar; denn er wünschte, die Götter zu täuschen und in das Land des Westens so einzugehen, wie er gerne ausgesehen hätte, nicht aber so, wie er in Wirklichkeit aussah. Trotzdem blieb er zu Lebzeiten lieber so, wie er war, weil ihm das Vornehmsein zu viel Mühe verursacht haben würde. Zu diesem Zwecke ließ er auch für sein Grab das kunstreichste und verworrenste Totenbuch, das ich je gesehen, anfertigen: es umfaßte zwölf Rollen Bilder mit Text und Beschwörungen zur Beschwichtigung der unterirdischen Geister, zur Ausrüstung der Waage des Osiris mit falschen Gewichten und zur Bestechung der gerechten Paviane. Das alles ließ er ausführen, weil er Vorsicht für eine Tugend hielt, obwohl er sonst nicht gern an den Tod dachte und unseren Skarabäus immer noch mehr als jeden anderen Gott verehrte. Ich gönnte Kaptah gerne seinen Reichtum und sein Glück und auch allen anderen ihre Freude und Zufriedenheit und wollte die Menschen nicht mehr ihrer Einbildungen berauben, wenn diese sie glücklich zu machen vermochten. Denn das Leben des Menschen ist vielfach aus Träumen gewoben. Deshalb ist die Wahrheit schlimm und bitter, und manchen Menschen bringt man besser um, als ihm seine Träume zu zerstören. Darum hütete ich mich, den Menschen ihre Traumgebilde zu vernichten, solange diese sie beglückten und sie sich, ohne Böses zu tun, mit ihrem Wahn zufriedengaben.

Meine Stirn aber kühlten keine Träume, und keine Freude schenkte meinem Herzen Frieden. Keine Arbeit verlieh mir Ruhe, obwohl ich in diesen Jahren sehr beschäftigt war, zahlreiche Kranke heilte und verschiedenen Menschen die Schädel öffnete, wobei nur ihrer drei starben, was mir einen großen Ruf als Schädelbohrer eintrug. Ich war ewig unzufrieden. Vielleicht hatte mich auch Mutis mürrisches, bitteres Wesen angesteckt, so daß ich alle Menschen, denen ich begegnete, unaufhörlich tadelte. Kaptah machte ich Vorwürfe über seine Prasserei, den Armen über ihre Faulheit, den Reichen über ihre Selbstsucht, den Richtern über ihre Gleichgültigkeit; keiner konnte es mir recht machen, ich war mit allen Leuten unzufrieden und schmähte sie. Nur Kranke und Kinder schalt ich nicht; ich pflegte die Kranken, ohne ihnen unnützen Schmerz zu verursachen, und ließ Muti Honigkuchen unter die kleinen Knaben der Straße verteilen, deren Augen mich an die klaren Augen Thoths erinnerten.

Die Menschen sagten von mir: »Dieser Sinuhe ist ein langweiliger, verbitterter Mann! Seine Leber ist geschwollen, und die Galle läuft ihm über, wenn er spricht. Er ist zu früh gealtert und kann sich des Lebens nicht mehr freuen. Auch vermag er nachts keinen Schlaf zu finden, weil ihn seine Untaten verfolgen. Wir wollen ihn daher mit Wohlwollen behandeln und uns nicht um sein Geschwätz kümmern; denn seine Zunge sticht ihn selber mehr als andere.«

So verhielt es sich auch. Wenn ich genug genörgelt hatte, litt ich selbst darunter und vergoß Tränen und gab den Faulpelzen Getreide, zog mein Gewand aus, um damit einen Betrunkenen zu kleiden, bat die Reichen für meine Schmähungen um Verzeihung und glaubte an die Redlichkeit der Richter. Das geschah, weil ich immer noch ein Schwächling war und meine Natur nicht ändern konnte.

Aber ich verleumdete auch Haremhab, und in meinen Augen waren alle seine Handlungen schlecht. Am meisten aber bekrittelte ich seine Soldaten, die er mit den Vorräten des Pharao aushielt und die ein müßiges Leben führten, in Bierschenken und Freudenhäusern mit ihren Heldentaten prahlten und die Töchter der Armen schändeten, so daß in den Straßen Thebens keine Frau mehr sicher war. Denn Haremhab verzieh seinen Kriegern alle Missetaten, die er noch beschönigte. Wenn sich die Armen ihrer Töchter wegen mit Klagen an ihn wandten, erklärte er ihnen, sie sollten stolz darauf sein, daß die Soldaten Ägyptens ein starkes Geschlecht zeugten: er haßte die Frauen, betrachtete sie bloß als Gebärerinnen und gönnte ihnen keine andere Würde.

Mit der Zeit wurde Haremhab immer mißtrauischer. Eines Tages kamen seine Wächter zu mir ins Haus, zogen mir Sandalen an und legten mir ein Tuch um, und nachdem sie mit den Speerschäften die Kranken von meinem Hof vertrieben hatten, führten sie mich vor Haremhab. Es war im Frühling, die Wasser waren zurückgetreten, und die Schwalben flitzten mit unruhigem Gezwitscher pfeilschnell über den mit gelbem Schlamm vermischten Fluten hin und her. Die Wächter schleppten mich vor Haremhab, der in den letzten Jahren so sehr gealtert war, daß sich sein Nacken gebeugt hatte und sein Gesicht gelb geworden war und die Muskeln an seinem hochgewachsenen, hageren Körper wie Geschwülste aussahen. Er blickte mir in die Augen, in denen keine Freude mehr wohnte, und sprach:

»Sinuhe, ich habe dich wiederholt warnen lassen. Aber du kümmerst dich nicht darum, sondern sagst immer noch zu den Leuten, der Beruf des Kriegers sei der niedrigste und verächtlichste aller Berufe, für die Kinder sei es besser, im Mutterleib zu sterben, als zu Kriegern geboren zu werden, zwei bis drei Kinder genügten für eine Frau und es sei für eine Mutter vorzuziehen, mit drei Kindern glücklich als mit zehn Kindern arm und unglücklich zu sein. Auch hast du behauptet, alle Götter seien gleich und alle Tempel dunkle Häuser, und der Gott des falschen Pharao sei trotz allem der größte der Götter gewesen. Ferner hast du gesagt, der Mensch habe nicht das Recht, einen anderen Menschen als Sklaven zu kaufen oder zu verkaufen, und das Volk, welches pflügt und sät und erntet, dürfe die Felder, die es bebaut. und die Scheunen, die es füllt, als sein Eigentum beanspruchen, selbst wenn der Boden dem Pharao oder einem Gott gehören sollte. Schließlich hast du die kühne Behauptung aufgestellt, daß meine Gewalt sich nicht wesentlich von derjenigen der Hetiter unterscheide; und noch viel tollere Dinge hast du geschwatzt. Ein anderer wäre für weit weniger aufrührerische Reden schon längst in die Steinbrüche verschickt worden, um unter Stockhieben zu arbeiten. Ich aber habe dir Langmut erwiesen, Sinuhe, weil du einmal mein Freund warst und ich dich, solange der Priester Eje noch lebte, als Zeugen gegen ihn benötigte. Jetzt aber bedarf ich deiner nicht mehr; du könntest mir im Gegenteil durch manches, was du über mich weißt, schaden, solange du lebst. Wärest du vernünftig, so würdest du ein ruhiges Leben geführt und dich mit deinem Los zufriedengegeben haben; denn dir hat wahrlich nichts gefehlt. Statt dessen aber speit dein Mund Schmutz auf mich, und das ertrage ich nicht länger!«

Während er so redete, steigerte sich sein Zorn, er begann seine mageren Schenkel mit der Peitsche zu bearbeiten, runzelte die Brauen und fuhr fort: »Wahrlich, du bist mir ein Sandfloh zwischen den Zehen und eine Viehbremse auf der Schulter gewesen! Ich dulde in meinem Garten keine Büsche, die statt Frucht zu tragen, nur giftige Dornen hervorbringen. Es ist wieder Frühling im Lande Kêmet, die Schwalben beginnen sich für den Sommer im Schlamm zu vergraben, während die Wasser zurücktreten, die Taube girrt und die Akazien blühen. Es ist eine gefährliche Zeit. Der Frühling zeugt stets Unruhe und eitles Gerede, aufgehetzte Gesellen sehen rot vor den Augen und heben Steine vom Boden, um sie gegen die Wächter zu werfen, und es ist sogar vorgekommen, daß meine Bildnisse im Tempel mit Ochsenmist besudelt wurden. Da könnten deine verrückten Worte als Funken wirken, die das dürre Schilf entzünden, und wenn dieses einmal Feuer gefangen hat, verbrennt es flammend zu Asche. Deshalb muß ich dich aus Ägypten verbannen, Sinuhe. Du sollst Kêmet nie mehr wiedersehen, weil sonst der Tag käme, an dem ich dich töten lassen müßte; das aber will ich nicht tun, weil du einstmals mein Freund gewesen bist. Ich bin mir darüber klar, daß böse Worte zuweilen gefährlicher sind als Speere; ich verstehe die Hetiter gut, die ihre Zauberer am Wegrand aufspießen lassen, und ich will Ägypten von der Gefahr säubern, wie ein guter Gärtner das Unkraut aus den Gemüsebeeten jätet. Denn ich gestatte nicht, daß das Land Kêmet nochmals in Brand gesteckt wird, weder um der Menschen noch um der Götter willen! Deshalb verbanne ich dich, Sinuhe, weil du gewiß nie ein Ägypter gewesen bist, sondern eine seltsame Mißgeburt, ein Mischling, dessen krankes Gehirn verderbliche Gedanken ausbrütet.«

Vielleicht hatte er recht, und es rührte die Qual meines Herzens gerade daher, daß in meinen Adern das heilige Blut der Pharaonen sich mit dem von der untergehenden Sonne gebleichten Blut des sterbenden Mitani vermischt hatte. Dennoch konnte ich mich eines Kicherns nicht erwehren und hielt mir aus Höflichkeit die Hand vor den Mund, um das Lachen zu unterdrücken. Seine Worte hatten mich sehr erschreckt; denn Theben war meine Vaterstadt, in der ich aufgewachsen war, und ich wollte nirgends anderswo als in Theben leben. Mein Gelächter beleidigte Haremhab sehr; denn er hatte erwartet, daß ich mich vor ihm aufs Gesicht werfen und ihn um Gnade anflehen würde. Deshalb ließ er seine Peitsche durch die Luft sausen und rief:

»So soll es denn geschehen! Ich verbanne dich für alle Zeiten aus Ägypten, und wenn du stirbst, darf dein Leichnam nicht zurückgebracht und im Lande Kêmet begraben werden, wenn ich auch gestatte, daß er nach altem, gutem Brauch zur Erhaltung nach dem Tode einbalsamiert werde. Deine Leiche soll an der Küste des östlichen Meeres bestattet werden, von wo die Schiffe nach dem Lande Punt segeln. Dorthin will ich dich auch verbannen; denn nach Syrien kann ich dich nicht verschicken, weil dieses Land immer noch ein schwelender Gluthaufen ist, der keinen Blasebalg benötigt; ebensowenig mag ich dich in das Land Kusch ausweisen, da du behauptest, die Hautfarbe des Menschen sei ohne Bedeutung und daher seien die Ägypter und die Neger gleichen Wertes. Du würdest den Negern Flausen in den Kopf setzen. Jene Küstengegend aber ist öde und verlassen, und dort kannst du nach Belieben den roten Fluten des Meeres und dem schwarzen Wüstenwind Reden halten und von den Bergen herab den Schakalen und Raben und Schlangen predigen. Die Wächter sollen das Gebiet, auf dem du dich bewegen darfst, ausmessen und dich, falls du seine Grenzen überschreitest, mit ihren Speeren umbringen. Sonst aber soll dir nichts fehlen, dein Lager soll bequem und deine Nahrung reichlich sein, und jeder angemessene Wunsch soll dir erfüllt werden; denn die Einsamkeit ist dir Strafe genug, und ich will dich, meinen einstigen Freund, nicht schwerer belasten, wenn ich nur meinen Zweck erreiche und deine irrsinnigen Reden loswerde.«

Ich fürchtete jedoch die Einsamkeit nicht, weil ich ja mein Leben lang einsam gewesen und schon zur Einsamkeit geboren war; aber mein Herz schmolz vor Wehmut bei dem Gedanken, daß ich Theben nie mehr wiedersehen noch die weiche Erde des schwarzen Landes betreten oder das Wasser des Nils trinken dürfte. Deshalb sagte ich zu Haremhab:

»Ich besitze nicht viele Freunde; denn die Menschen meiden mich meines bitteren Sinnes und meiner scharfen Zunge wegen. Aber du gestattest mir wohl, meinen wenigen Freunden Lebewohl zu sagen. Auch möchte ich gerne von Theben Abschied nehmen, noch einmal durch die Widderstraße wandeln, den Duft des Weihrauchs zwischen den bunten Säulen des großen Tempels und den Geruch gebratener Fische im Armenviertel einatmen, wenn die Frauen ihre Feuer vor den Lehmhütten anzünden und die Männer mit müden Schultern von der Arbeit heimkehren.«

Haremhab hätte meinen Wunsch sicherlich erfüllt, wenn ich geweint und mich vor ihm zu Boden geworfen hätte; denn er war ein äußerst eitler Mann, und seine Feindseligkeit gegen mich beruhte zweifellos vor allem auf dem Bewußtsein, daß ich ihn nicht bewunderte und in meinem Herzen nicht als den wahren Pharao anerkannte. Aber obgleich ich ein schwacher Mensch mit einem Lämmerherzen war, wollte ich mich doch nicht vor ihm demütigen, weil der Geist sich nie der Gewalt unterwerfen darf. Deshalb hielt ich mir wieder die Hand vor den Mund, als ich meine Angst hinter Gähnen verbarg; denn immer, wenn ich mich am heftigsten fürchte, werde ich maßlos schläfrig, und darin unterscheide ich mich wohl von den meisten anderen Menschen. Da sprach Haremhab:

»Ich gestatte kein unnützes Abschiednehmen und keine langen Umschweife. Ich bin ein Krieger und ein aufrechter Mann, der keine Schwäche duldet. Deshalb will ich es dir leicht machen, indem ich dich unverzüglich fortschicke, um jeden Auflauf und jede Kundgebung deinetwegen zu vermeiden; denn du bist bekannter in Theben, als du vielleicht selbst ahnst. Und darum sollst du auch in einer geschlossenen Sänfte reisen. Wenn dir aber jemand in die Verbannung folgen will, erlaube ich es; doch muß er die ganze Zeit bei dir bleiben und darf den Verbannungsort auch nach deinem Tod nicht verlassen, sondern muß selbst dort sterben. Denn gefährliche Gedanken sind ansteckend wie die Pest und werden von einem Menschen auf den anderen übertragen. Ich will nicht, daß ein anderer deine ansteckenden Ideen wieder in Ägypten einschleppt. Wenn du jedoch als deine Freunde einen gewissen Mühlensklaven mit verwachsenen Fingerknochen bezeichnen solltest, oder einen versoffenen Künstler, der einen am Wegrand hockenden Gott zeichnet, und ein paar Neger, die bei dir verkehrt sind, würdest du dich vergeblich von ihnen zu verabschieden suchen; denn sie haben eine lange Reise angetreten und werden nie mehr wiederkehren.«

In diesem Augenblick haßte ich Haremhab, noch mehr aber mich selber, weil meine Hände immer noch gegen meinen Willen den Tod säten, und die mir am nächsten stehenden Menschen meinetwegen leiden mußten. Ich zweifelte nämlich nicht daran, daß Haremhab die wenigen Freunde, die ich um mich gesammelt hatte, weil sie Aton noch nicht vergessen, hatte umbringen oder in die Kupfergruben von Sinai verschicken lassen. Deshalb äußerte ich kein Wort mehr, sondern verneigte mich stumm vor Haremhab, streckte die Hände in Kniehöhe vor und wandte mich ab, worauf mich die Wächter hinausgeleiteten. Noch einmal öffnete er den Mund, wie um mir noch etwas zu sagen, bevor ich verschwand, und machte auch einen Schritt auf mich zu; aber dann hielt er sich zurück, hieb mit der Peitsche auf die Schenkel und erklärte: »Der Pharao hat gesprochen.«

Die Wächter schlossen mich in meine Sänfte ein und trugen mich aus Theben an den drei Bergen vorbei in die östliche Wüste hinaus. Sie geleiteten mich zwanzig Tage lang auf dem gepflasterten Weg, den Haremhab hatte bauen lassen, bis wir in einen Hafen gelangten, wo die nach Punt bestimmten Schiffe einmal im Jahr ihre Lasten luden und löschten, nachdem sie zuerst von Theben stromabwärts und dann vom Fluß durch den Kanal in das östliche Meer gesegelt waren. Um den Hafen herum aber lag eine Siedlung, und deshalb führten mich die Wächter die Küste entlang drei Tagesreisen weiter in ein verlassenes Dorf, das einst von Fischern bewohnt gewesen war. Hier wiesen sie mir ein ausgemessenes Gebiet zu und bauten mir ein Haus, das ich all diese Jahre hindurch bewohnt habe, bis ich nun ein alter, müder Mann geworden bin. Nichts, was ich mir wünschte, hat mir gefehlt; ich habe in dem Haus das Leben eines Reichen geführt, und Schreibzeug, feinste Papyri und Ebenholzschreine zur Aufbewahrung meiner Ärztewerkzeuge und der Bücher, die ich geschrieben, standen mir zur Verfügung. Dieses fünfzehnte Buch aber ist das letzte, das ich verfasse; denn ich habe nichts mehr zu erzählen und bin des Schreibens überdrüssig. Meine Hand ist müde, und meine Augen sind so matt, daß ich die Schriftzeichen auf dem Papyrus kaum mehr erkenne.

Ich glaube nämlich, daß ich das Dasein nicht ertragen haben würde, wenn ich nicht geschrieben und beim Schreiben mein Leben von neuem durchlebt hätte, obwohl es nicht viel Gutes darüber zu berichten gibt. Ich habe das alles nur meinetwegen aufgezeichnet, um weiterleben zu können und um mir selbst zu erklären, wozu ich eigentlich gelebt habe. Doch weiß ich es heute noch nicht; und wenn ich jetzt das letzte Buch beende, verstehe ich es noch weniger als damals, da ich mit dieser Arbeit begann. Trotzdem hat mir das Schreiben in diesen Jahren Trost gebracht; denn jeden Tag hat das Meer vor meinen Blicken gelegen, ich habe es rot und schwarz, bei Tag grün und des Nachts weiß und bei glühender Hitze blauer als blaues Gestein gesehen. Jetzt bin ich seines Anblicks überdrüssig; denn es ist allzu weit und furchterregend, als daß ein Mensen es sein Leben lang betrachten könnte, weil sein Kopf ob der Grenzenlosigkeit der See erkrankt und sein Herz in einen tiefen Brunnen fällt, wenn sie im Abendrot erglüht.

In all diesen Jahren habe ich auch die roten Berge um mich herum betrachtet und die Sandflöhe beobachtet; Skorpione und Schlangen sind meine Vertrauten, die nicht mehr vor mir flüchten, sondern auf meine Worte hören. Trotzdem glaube ich, daß Skorpione und Schlangen dem Menschen schlechte Freunde sind. Deshalb habe ich sie ebenso satt bekommen wie die endlos rollenden Wellenkämme des Meeres.

Doch muß ich erwähnen, daß eines Tages im ersten Jahr, da ich hier in diesem Dorf aus verfallenen Hütten und gebleichten Knochen wohnte und die Schiffe wieder nach Punt abgefahren waren, Muti mit einer Karawane des Pharao aus Theben zu mir reiste. Sie kam zu mir, streckte die Hände in Kniehöhe vor, begrüßte mich und weinte bitterlich über meinen erbärmlichen Zustand; denn meine Wangen waren eingefallen, mein Magen verschrumpft, und ich kümmerte mich um nichts mehr, sondern starrte nur zum Zeitvertreib aufs Meer hinaus, bis mich der Kopf schmerzte. Aber Muti erholte sich rasch und begann mich heftig mit Vorwürfen zu überschütten:

»Habe ich dich nicht tausendmal gewarnt, Sinuhe, nicht deiner männlichen Natur wegen den Kopf in die Schlinge zu stecken? Aber Männer sind tauber als Steine und benehmen sich wie dumme Jungen, die sich den Schädel an der Wand einrennen müssen, obwohl die Wand dabei nicht im geringsten nachgibt. Wahrlich, mein Herr Sinuhe, du hast oft genug versucht, mit dem Kopf durch die Mauern zu rennen! Es ist höchste Zeit, daß du dich beruhigst und das Leben eines Weisen zu führen beginnst.«

Als ich sie aber tadelte und sagte, sie hätte nicht aus Theben zu mir kommen sollen, weil sie nun nie mehr dorthin zurückkehren dürfe, sondern ihr Leben als dasjenige eines Verbannten binde, was ich niemals erlaubt haben würde, wenn ich ihre Absicht geahnt hätte, hielt sie mir wieder eine lange Rede und sprach:

»Im Gegenteil! Nichts Besseres hätte dir widerfahren können als diese Verbannung! Ich glaube, daß Pharao Haremhab dein wahrer Freund ist, weil er dir für das Alter einen so friedlichen Wohnort angewiesen hat. Auch ich habe mehr als genug von der Hetze Thebens und den streitsüchtigen Nachbarn, die sich Kochgeschirre ausleihen und sie nicht zurückbringen und ihre Abfälle in meinen Hof werfen. Offen gestanden war das einstige Haus des Kupferschmieds nach der Feuersbrunst nicht mehr wie zuvor; die Braten verbrannten im Ofen, das Öl in den Krügen wurde ranzig, es zog am Boden um die Füße, und unaufhörlich knarrten die Fensterläden. Hingegen können wir hier ganz neu anfangen und alles nach unserem Geschmack einrichten. Ich habe bereits einen vorzüglichen Platz für den Garten ausersehen, wo ich Küchenpflanzen und Brunnenkresse anpflanzen werde, die du als Gewürz in den Tunken so gern hast. Wahrlich, ich werde diesen faulen Drohnen, die dir der Pharao zum Schutz gegen Räuber und Verbrecher mitgegeben hat, Beine machen! Alle Tage sollen sie mir auf die Jagd nach frischem Fleisch und auf Fischfang gehen und Muscheln und Krabben am Strand sammeln, obgleich ich befürchte, daß die Seefische und Meeresmuscheln nicht so gut sind wie diejenigen des Flusses. Auch werde ich mir mit deiner Erlaubnis rechtzeitig einen Grabplatz aussuchen; denn nachdem ich nun hergekommen bin, werde ich diesen Ort nie mehr verlassen. Denn ich habe es satt, auf der Suche nach dir von Ort zu Ort zu fahren, und das Reisen macht mir Angst, weil ich nie zuvor einen Fuß aus Theben hinausgesetzt hatte.«

So tröstete mich Muti und heiterte mich auf, und ich glaube, es war ausschließlich ihr Verdienst, daß ich mich wieder an das Leben klammerte und zu schreiben begann. Denn ich hätte es als großes Unrecht gegen sie empfunden zu sterben und sie auf ihre alten Tage allein in der Verbannung zurückzulassen. Sie regte mich zum Schreiben an, und so handhabte ich fleißig meinen Stift, obwohl sie selbst nicht des Lesens kundig war und, so glaube ich, im stillen meine Schreiberei als eitle Torheit betrachtete. Aber sie wollte, daß ich eine Beschäftigung habe, die meinem Leben in der Verbannung einen Sinn verlieh, und sie sorgte dafür, daß ich nicht spät abends schrieb, um mir nicht die Augen zu verderben, und daß ich mäßig und mit Ruhepausen arbeitete und all die guten Gerichte, die sie mir kochte, genoß. Ihrem Versprechen gemäß trieb sie die Wächter des Pharao zur Tätigkeit an und verbitterte ihnen das Leben, weshalb diese hinter ihrem Rücken über sie fluchten und sie Hexe und Krokodil schimpften. Aber sie wagten nicht, sich gegen sie aufzulehnen; denn sie wehrte jeden derartigen Versuch mit den schärfsten Worten ab, und ihre Zunge war spitzer als die Pike, mit der man die Ochsen beim Schlittenziehen anstachelt.

Auch glaube ich, daß Muti einen sehr gesunden Einfluß auf sie ausübte; denn da sie die Diener in steter Bewegung hielt, ward diesen die Zeit nicht lang, und sie kamen nicht auf den Gedanken, mich zu verfluchen und umzubringen, um mich loszuwerden und nach Theben zurückkehren zu können, sondern segneten ihre kurzen Ruhepausen. Zum Lohn für ihre Mühe buk ihnen Muti gutes Brot und braute ihnen starkes Bier, aus ihrem Garten erhielten sie frisches Gemüse, und sie lehrte sie, Abwechslung in ihre Kost zu bringen, so daß sie nicht bei der einförmigen Nahrung erkrankten, die in ihrem Sold inbegriffen war. Alljährlich, wenn die Schiffe nach Punt segelten, sandte uns Kaptah aus Theben nach Mutis Anweisungen zahlreiche Esellasten verschiedener Waren und von seinen Schreibern angefertigte Berichte über die Vorgänge in Theben; und so lebte ich nicht in einem Sack. Das alles war auch für die Wächter von großem Nutzen. Muti lehrte sie viele zweckdienliche Fertigkeiten, und meine Geschenke bereicherten sie, weshalb sie keine allzu große Sehnsucht nach Theben verspürten. Nachdem ich dies nun noch berichtet habe, bin ich vom Schreiben müde, und meine Augen sind matt. Mutis Katzen springen mir auf den Schoß, reiben die Köpfe gegen meine Hand, die den Schreibstift hält, und hindern mich, im Schreiben fortzufahren. Mein Herz ist müde von allem, was ich erzählt habe, und meine Glieder sind erschöpft und sehnen sich nach der ewigen Ruhe. Vielleicht bin ich nicht glücklich, aber jedenfalls auch nicht besonders unglücklich in meiner Einsamkeit; denn je einsamer und ferner ich von den Menschen gelebt, desto deutlicher habe ich sie und ihre Taten und deren Eitelkeit durchschaut, da ja alle Taten, die der Mensch in seinem Leben vollbringt, eitel sind.

Doch segne ich die Papyrusblätter und den Schreibstift, die mich wieder zu einem kleinen Kinde werden ließen, das in einem Binsenboot stromabwärts segelt, ohne schon um das Leid des Lebens und um die Qual der Erkenntnis zu wissen. Wieder bin ich ein kleiner Knabe im Haus meines Vaters Senmut gewesen, wieder sind die heißen Tränen Metis, des Fischausweiders, auf meine Hände getropft. Mit Minea bin ich auf den Straßen Babylons gewandert, und Merits schöne Arme haben meinen Hals umschlungen. Ich habe mit den Leidenden geweint und mein Getreide unter die Armen verteilt. An all das erinnere ich mich gern; meiner bösen Taten und meiner bitteren Verluste aber will ich lieber nicht gedenken.

Diese Bücher habe ich, Sinuhe, der Ägypter, nur meinetwegen geschrieben. Nicht um der Götter noch um der Menschen willen und nicht, um meinen armseligen Namen zu verewigen, sondern nur zum Tröste meines armen, betrübten Herzens, das sein Maß voll bekommen hat. Denn ich darf nicht hoffen, daß mein Name durch das Niedergeschriebene bewahrt werde, da ich ja weiß, daß die Wächter nach meinem Tod alles, was ich geschrieben, zerstören werden. Haremhabs Befehl gemäß werden sie meine Schriften zerstören und die Wände meines Hauses abreißen, und ich bin mir nicht einmal bewußt, ob ich darüber betrübt bin; denn nach allem, was ich erlebt, ersehne ich nicht die Unsterblichkeit meines Namens.

Trotzdem bewahre ich diese fünfzehn Bücher sorgfältig; Muti hat für jedes einzelne Buch eine starke Hülle aus Palmenfibern geflochten, und ich lege die darin verwahrten Bücher in einen silbernen Schrein und diesen wiederum in einen zweiten Schrein aus Hartholz, und ihn schließe ich endlich in einen kupfernen Kasten ein, wie einst die göttlichen Bücher des Thoth in Schreine versorgt und in die Tiefe des Stromes versenkt wurden. Ob aber meine Bücher der Zerstörung durch die Wächter entgehen werden und ob es Muti gelingen wird, sie ins Grab mitzugeben, das weiß ich nicht. Ich kümmere mich auch nicht weiter darum.

Denn ich, Sinuhe, bin ein Mensch und habe als solcher in jedem Menschen, der vor mir war, gelebt und werde in einem jeden, der nach mir kommen wird, leben. Ich lebe in den Tränen und im Jubel des Menschen, in seinem Kummer und seiner Furcht, in seiner Güte und seiner Bosheit, in Gerechtigkeit und Unrecht, im Schwachen wie im Starken. Als Mensch werde ich ewig im Menschen leben, und darum ersehne ich keine Opfer für mein Grab und keine Unsterblichkeit für meinen Namen.

Dies schrieb Sinuhe, der Ägypter, der sein Leben lang einsam gewesen …



* Alte Bezeichnung für Amarna, am östlichen Nilufer, nördlich von Assiut.

Sinuhe der Ägypter
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